Die zehnte Kammer
etwas?«
»Ja.«
»Dann kann das nur von meinen Kleidern kommen. Ich bin der Feuerwehrhauptmann hier am Ort.«
Hugo zuckte mit den Schultern und beäugte die gutaussehende Frau am anderen Tisch. Sie war nicht älter als vierzig, hatte schwarze, lockige Haare, einen süßen Schmollmund und trug ein enganliegendes, kurzes Kleid, das viel Bein zeigte. Der Mann neben ihr war mindestens zehn Jahre jünger und hatte die breiten Schultern und die rötliche Gesichtsfarbe eines Bauern. Ziemlich unwahrscheinlich, dass er ihr Freund oder Ehemann war, weshalb Luc nur darauf wartete, dass Hugo die Frau anmachte.
Sein Freund enttäuschte ihn nicht. »Schönes Wetter heute«, sagte Hugo zu der Unbekannten und lächelte.
Die Frau zog einen Mundwinkel nach oben, was man nur mit sehr viel Wohlwollen als Lächeln deuten konnte. Ihr mürrisch dreinblickender Begleiter klopfte ihr auf den Unterarm, damit sie ihm wieder ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte.
»Die sind ja echt freundlich hier«, brummte Hugo. »Hast du gesehen? Sie essen Omelette. Das will ich auch. Die Einheimischen wissen, was gut ist, sage ich immer.«
Luc ging auf die Toilette, und als er zurückkam, stellte er fest, dass Hugo ihnen Bier bestellt hatte.
»Wie war es?«, fragte Hugo.
»Sauber ist anders.« Luc legte sein Handy auf den Tisch. »Auf uns«, sagte er und prostete Hugo zu.
Sie sprachen leise, während sie sich hungrig über ihre Käseomeletten mit Pommes hermachten.
»Ich werde alle meine Forschungsprojekte hinschmeißen müssen«, sagte Luc wehmütig. »Keines davon werde ich nun noch zu Ende bringen.«
»Ich schätze, da hast du recht«, erwiderte Hugo. »Aber das ist doch in Ordnung, oder?«
»Selbstverständlich! Ich bekomme bloß ein bisschen Angst vor der großen Aufgabe, die vor mir liegt. Auf so was war ich nicht vorbereitet.«
»Ich freue mich trotzdem für dich«, sagte Hugo herzlich und fügte mit einem Hauch von Sarkasmus hinzu: »Du wirst berühmt, und ich werde in meinen kleinen Restaurationsbetrieb zurückkehren und darauf hoffen, dass ich ein wenig von deinem Glanz abbekomme. Ich hoffe, dass du mich hin und wieder erwähnst, wenn du in eine Talkshow eingeladen wirst. Und wenn du der Höhle einen Namen gibst, dann nenne sie bitte Pineau-Simard oder von mir aus auch Simard-Pineau.«
»Du brauchst keine Angst zu haben, dass man dich vergisst«, lachte Luc. »Schließlich warst du von Anfang an mit im Boot.«
»Ach ja?«
»Vergiss das Manuskript nicht. Du hast mich auf das Buch aufmerksam gemacht.«
»Aber das interessiert jetzt keinen mehr.«
»Im Gegenteil«, erwiderte Luc im Flüsterton. »Das Manuskript ist ein elementarer Teil der Geschichte. Es gibt da einen wichtigen historischen Zusammenhang, den wir nicht übersehen dürfen. Aber dazu muss das Buch erst einmal entschlüsselt werden.«
»Vielleicht komme ich weiter, wenn ich ein paar Recherchen mache«, flüsterte Hugo.
»Was für Recherchen?«
»Hast du schon mal was vom Voynich-Manuskript gehört?«
Luc schüttelte den Kopf.
»Das ist ein seltsames Manuskript, das möglicherweise aus dem 15. Jahrhundert stammt und um das Jahr 1910 herum von einem polnischen Büchersammler namens Wilfried Michael Voynich gekauft wurde. Das Buch besteht aus einer Menge botanischer, anatomischer und astronomischer Bilder und einem in einer sonderbaren Sprache verfassten Text, der seit einem Jahrhundert nicht entschlüsselt werden konnte. Manche meinen, er sei von Roger Bacon oder John Dee verfasst worden, den mathematischen Genies ihrer Zeit, die sich auch mit Alchemie beschäftigt haben. Andere wiederum glauben, dass es sich um einen gigantischen Scherz des 15. oder 16. Jahrhunderts handelt. Ich erwähne es deshalb, weil ein Heer von Amateur-und Profikryptographen versucht hat, seinen Code zu knacken. Ich habe einige von diesen Leuten bei Seminaren und Vorträgen getroffen. Die sprechen ihre ganz eigene Sprache. Wenn sie über die Beaufort-Chiffrierung und das Zipf’sche Gesetz diskutieren, verstehst du nur Bahnhof. Einen von den weniger Bekloppten kenne ich recht gut. Vielleicht kann ich ihn überreden, mal ein Auge auf unser Buch zu werfen.«
Luc nickte. »Tu das. Aber bitte ganz diskret.«
Das Paar am anderen Tisch stand auf und ging, ohne fürs Essen zu bezahlen. Während der junge Mann als Erster das Lokal verließ, drehte sich die Frau noch einmal zu Hugo um und schenkte ihm ein weiteres angedeutetes Lächeln, bevor auch sie verschwand.
»Hast du das gesehen?«, fragte
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