Die zehnte Kammer
Hugo. »Vielleicht ist die Provinz am Ende doch nicht so übel, wie ich gedacht habe.«
Drei Männer kamen herein, von denen zwei mit ihren schmutzigen Händen und Schuhen wie Landarbeiter aussahen. Der dritte war etwas älter und trug einen sauberen, gutgeschnittenen Anzug und ein Hemd ohne Krawatte. Der Cafébesitzer nickte ihnen vom Tresen her zu und sprach den älteren Mann mit Namen an. »Guten Tag, Pelay. Wie geht es dir?«
»Auch nicht besser als beim Frühstück«, erwiderte der Mann barsch, während er ungeniert Luc und Hugo anglotzte.
Die drei setzten sich an einen Tisch in der hintersten Ecke und unterhielten sich.
Luc begann sich unbehaglich zu fühlen. Die Männer und der Cafébesitzer warfen sich stumme Blicke zu. Jedes Mal, wenn Luc den Kopf in ihre Richtung drehte, schauten die Männer weg und nahmen ihr Gespräch wieder auf. Hugo schien das seltsame Spiel nicht zu bemerken, weshalb Luc sich fragte, ob er vielleicht Gespenster sah.
»He, Pelay«, rief der Wirt über ihre Köpfe hinweg. »Soll ich dir später etwas Speck braten?«
»Nur, wenn er von Duval ist«, erwiderte der Mann im Anzug. »Ich esse nur Speck von Duval.«
»Keine Sorge, er kommt natürlich von Duval.«
Der Wirt schlurfte zur Tür und drehte das »Geöffnet« -Schild an der Glasscheibe auf »Geschlossen«.
Luc hörte, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde, und spürte, dass ihn von hinten jemand anstarrte. Der Wirt räumte mit lautem Klirren Gläser ins Regal, und Luc fühlte sich plötzlich ausgesprochen unwohl. Er wollte sich gerade umdrehen, um herauszufinden, wer ihn anstarrte, als er draußen auf der Straße das Quietschen von bremsenden Reifen hörte.
Luc sprang dankbar auf, als er sah, dass ein blauweißer Kleinbus der Gendarmerie direkt hinter seinem Landrover zum Stehen gekommen war. »Ich habe sie vom Handy aus angerufen«, sagte er zu Hugo. »Zahl unsere Zeche und komm dann raus.«
Auf dem Weg zur Tür warf er den Männern am Ecktisch einen finsteren Blick zu, den diese aber nicht erwiderten.
Der Wirt klatschte Hugo die Rechnung auf den Tisch. »Ich mache jetzt sowieso zu«, sagte er schroff.
Hugo blickte ihn verächtlich an, warf ein paar Euros auf den Tisch und eilte Luc hinterher. »Vielleicht solltest du deine Meinung über das Land doch nicht vorschnell ändern«, sagte Luc zu Hugo, während sie ins Freie traten.
ACHT
Nachdem Luc das Telefon lange unschlüssig angestarrt hatte, hob er den Hörer ab und wählte die Nummer, die er auf ihrer Website gefunden hatte.
Eigentlich passte so ein Anruf überhaupt nicht zu ihm, aber schließlich befand er sich in einer Ausnahmesituation.
Er brauchte jetzt die besten Leute, und in ihrem Fach gab es niemanden, der so gut war wie sie. Er wollte einfach keine Kompromisse machen.
Luc saß in seinem Büro auf dem Campus der Universität Bordeaux und blickte aus dem Fenster. Während draußen im Innenhof ein Regenschauer herunterprasselte, lauschte er dem vertrauten englischen Klingelzeichen, bevor er ihre weiche, warme Stimme hörte.
»Hallo?«
»Hallo, Sara.«
»Luc?«
»Ja, ich bin’s.«
Es herrschte einen Augenblick lang Stille.
»Bist du noch da, Sara?«
»Ja, ich bin noch dran. Ich habe mir nur gerade überlegt, ob ich nicht besser auflegen sollte.«
Sara und Luc hatten sich vor drei Jahren kennengelernt. Sie hatte den Sommer in Paris verbracht, um an Eine palynologische Betrachtung des Übergangs vom Jungpaläolithikum zum Mesolithikum zu arbeiten. Das Buch würde zwar nie die Bestsellerlisten erobern, hatte ihr aber einen Ruf als hervorragende Wissenschaftlerin eingebracht. Luc hingegen hatte gerade mit den Ausgrabungen in Les Eyzies begonnen, die mehrere Jahre brauchen würden.
Zwei Jahre lang waren sie zusammen gewesen. Luc hatte sich ihren in schlechtem Französisch gehaltenen Vortrag bei einem Archäologie-Symposion an der Pariser Universität angehört und sie beim anschließenden Empfang angesprochen. Sara hatte ihren Freunden später erzählt, dass sie ihn quer durch den Raum auf sich zukommen gesehen und insgeheim gehofft hatte, er würde sich für sie interessieren. Luc hatte ihr in perfektem Englisch Komplimente für ihre Arbeit gemacht und sie dadurch so bezaubert, dass sie sich von ihm für den nächsten Abend zum Essen einladen ließ.
Ihren Freunden und sogar ihrer Mutter in Kalifornien erzählte sie später, sie könne nicht genug von ihm bekommen. Dass sie beide denselben Beruf hatten, war zwar angenehm, hatte jedoch nichts mit
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