Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
Vom Netzwerk:
ihrer Anziehungskraft füreinander zu tun. Sara kannte Lucs Ruf, aber vor allem sah sie etwas Wildes und Unbezähmbares in ihm, eine Herausforderung. Luc war fast zehn Jahre älter als sie. Daher glaubte Sara, er hätte sich in jungen Jahren genügend ausgetobt, um jetzt eine annähernd monogame Beziehung einzugehen. Und in diese Beziehung steckte sie ihre ganze Kraft. Er hatte Sara sooft gesagt, dass sie die längste Beziehung seines Lebens war, dass sie es irgendwann nicht mehr hören konnte. Es war eine Fernbeziehung, die sie führten, und Sara pendelte mit dem Zug zwischen Paris und Bordeaux hin und her. Eigentlich hatte sie erwartet, dass Luc sie bat, an seinen Ausgrabungen teilzunehmen, aber das passierte nie. Und dann kamen Sara Gerüchte über Luc und eine hübsche ungarische Geologin in seinem Team zu Ohren.
    Weil Sara weder Anrufe noch Kurzmitteilungen von Luc bekam, mietete sie sich eines Tages ein Auto und traf unerwartet an seiner Grabungsstätte ein.
    Sara brauchte nur einen Blick auf Lucs betretenes Gesicht sowie die Ungarin zu werfen, die zu allem Überfluss auch noch eine umwerfend gutaussehende Frau war, und schon wusste sie Bescheid. Ihr Besuch dauerte nur bis zum nächsten Morgen. Irgendwann gegen drei Uhr morgens war sie wütend aufgewacht und hatte sich davongestohlen, ohne sich zu verabschieden. Ein paar Monate später hatte Sara eine Stelle bei einem archäologischen Institut in London angenommen und Luc aus ihrem Leben gestrichen.
     
    »Bitte, leg nicht auf. Es ist wichtig.«
    »Ist dir was passiert?«, fragte Sara. Sie klang besorgt.
    »Nein, nein, mir geht es gut, aber ich muss dir etwas erzählen. Sitzt du am Computer?«
    »Ja.«
    »Kann ich dir etwas zur Ansicht schicken, während wir miteinander telefonieren?«
    Sara zögerte einen Augenblick, dann gab sie ihm ihre E-Mail-Adresse. Er hängte ein paar Dateien an eine Mail und schickte sie dann ab. Dabei lauschte er am Telefon Saras Atem.
    »Hast du’s schon?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Mach erst das Bild Nummer 93 auf.«
    Er wartete und starrte auf seine eigene Kopie des Bildes, das ihn immer noch faszinierte. Dabei versuchte er sich vorzustellen, wie Sara es gerade öffnete. Zwei Jahre waren keine allzu lange Zeit. Sie konnte sich nicht sehr verändert haben. Plötzlich war er froh, dass er einen Grund gefunden hatte, sie anzurufen.
    »Großer Gott! Wo hast du denn das her?« Sie klang erschrocken, als hätte jemand hinter ihr gerade einen Stapel Porzellan umgeworfen.
    »Aus dem Périgord. Was hältst du davon?«
    Es war ein Bild von dem kleinen Vogelmann vor der Wisentherde.
    »Es ist umwerfend. Ist das neu?«
    Luc hörte mit Genugtuung, wie aufgeregt sie klang.
    »Sehr neu sogar.«
    »Hast du das entdeckt?«
    »Ja, und ich bin richtig stolz.«
    »Weiß schon irgendjemand davon?«
    »Du gehörst zu den Ersten.«
    »Warum ich?«
    »Mach als Nächstes Nummer 211 und 215 auf.« Es waren Fotos aus der letzten der zehn Kammern der Höhle, dem »Saal der Pflanzen«, wie Luc sie nannte.
    »Sind die Bilder echt?«, fragte Sara. »Oder wurden sie am Computer bearbeitet?«
    »Nein. Sie sind nicht manipuliert und auch nicht retuschiert«, erwiderte er. »Jungfräulich und direkt aus der Kamera.« Sara wurde eine Weile still, dann sagte sie mit sanfter Stimme: »So etwas habe ich noch nie gesehen.«
    »Das dachte ich mir. Ach, und da ist noch etwas. Ich habe eine Aurignac-Klinge bei den Malereien gefunden. Kann sein, dass da eine zeitliche Verbindung besteht.«
    »Hört, hört …«, flüsterte sie.
    »Ich brauche also jemanden, der sich mit Pflanzen auskennt. Hast du Lust, herzukommen und mir zu helfen?«

NEUN
    General Gatinois saß stocksteif mit exakt auf neunzig Grad angewinkelten Knien an seinem antiken Schreibtisch. Er gestattete es sich nie, krumm dazusitzen, nicht einmal zu Hause oder in seinem Club. So war er erzogen worden in seiner Familie von Geschäftsleuten, die sich noch vage an ihre aristokratische Herkunft erinnerten. Bei der Arbeit diente die stets aufrechte Haltung dazu, sein sorgfältig kultiviertes gebieterisches Image zu unterstreichen.
    In der Hand hielt er ein Papier mit der Überschrift: »Projektantrag für eine Ausgrabung in der Ruac-Höhle in der Dordogne, vorgelegt von Professor Luc Simard, Universität Bordeaux«. Gatinois hatte es gründlich gelesen, sich noch gründlicher die Bilder angesehen und dann in Ruhe nachgedacht.
    Er betrachtete diese erste Krisensituation, die er nach neun langen Jahren als Kommandeur von

Weitere Kostenlose Bücher