Die zehnte Kammer
begleitet von einem Assistenten mit einer Taschenlampe, in den Feuerschein.
»Schönen guten Abend!«, rief er. »Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe. Ich bin Bernard Tailifer, der Präsident des Regionalrats von Aquitanien! Wo ist Professor Simard? Ich würde gerne noch ein paar Worte an die Versammlung richten.«
Luc begrüßte den übereifrigen Lokalpolitiker und gab ihm ein Glas Champagner und eine Kiste, auf die er sich stellen konnte. Dann hörte er höflich zu, wie Tailifer seine langatmige, blumige und vollkommen überflüssige Rede abspulte.
Anschließend plauderten Luc und Monsieur Tailifer am Feuer und tranken noch ein Glas. Der Politiker lehnte eine Einladung zur Höhlenführung dankend ab, da er zur Platzangst neige und sich deshalb in dunklen Räumen nicht wohlfühle. Dafür aber wolle er außerhalb der Höhle alles tun, um dem Team seine Arbeit zu erleichtern. Er schwadronierte bereits von einer Faksimilehöhle »Ruac II«, einer zukünftigen touristischen Attraktion für das Massenpublikum ähnlich Lascaux II, und wollte wissen, was Luc von dieser Idee hielt. Luc antwortete diplomatisch, dass er sich vieles vorstellen könne, wenn die Erforschung von »Ruac I« erst einmal abgeschlossen sei.
Tailifer wollte noch wissen, weshalb die Wissenschaftler eigentlich in einem Zeltlager auf dem Grundstück der Abtei hausten. Als Luc ihm von der hemdsärmeligen Behandlung durch den Bürgermeister von Ruac erzählte, grunzte der Politiker zustimmend.
»Dieser Bonnet ist eine Schande für sein Arrondissement«, schimpfte er. »Ein echter Blödmann, wenn ich das so sagen darf, aber bitte zitieren Sie mich nicht. Ich kenne ihn persönlich nicht sonderlich gut, aber ich habe schon viel über ihn gehört. Wissen Sie, was man sich über ihn und sein Dorf erzählt? Warum die Leute hier so unfreundlich sind?«
Luc wusste es nicht.
»Der Legende nach soll der Ort durch einen spektakulären Diebstahl reich geworden sein. Haben Sie davon noch nie gehört? Das meiste davon ist vermutlich Legende, aber es stimmt, dass 1944, während der Besatzung, ein deutscher Militärzug voller Beutekunst und Gold aus den Tresoren der Banque de France von Paris nach Bordeaux geschickt wurde, wo ein deutsches Schiff die Sachen in Empfang nehmen sollte. Die Résistance hat den Zug in der Nähe von Ruac überfallen und ein Vermögen erbeutet, an die zweihundert Millionen Euro in heutiger Währung. In dem Zug befanden sich auch berühmte Bilder, die für Hermann Göring persönlich bestimmt waren, darunter angeblich Raffaels« Porträt eines jungen Mannes ». Ein Teil der Beute landete bei de Gaulle in Algier und wurde bestimmt für die Sache verwendet, davon bin ich überzeugt. Aber das meiste ist einfach verschwunden. Auch das Bild von Raffael, das man bis heute noch nicht gefunden hat. Seit dieser Zeit munkelt man, dass die Leute von Ruac deshalb so unfreundlich und verschlossen sind, weil sie diesen Diebstahl verschleiern wollen. Na ja, Sie kennen solche Geschichten – da ist immer viel Spekulation mit im Spiel. Fragen Sie trotzdem besser niemanden im Ort nach der Résistance und dem Überfall auf den Zug, das könnte Ihnen unter Umständen nicht gut bekommen.«
Als Tailifers Begleiter seinen Chef dezent auf ihren nächsten Termin hinwies, leerte dieser rasch sein Glas, drückte es Luc in die Hand und verabschiedete sich.
Luc versuchte Sara zu finden, wurde aber von Zvi Alon in ein Gespräch über paläolithische Kunst verwickelt und schließlich von Karin Weltzer, der Pleistozängeologin im Team, zu seinen Plänen für die nächsten Tage befragt. Luc konnte sich nicht entscheiden, wer von den beiden ihm mehr auf die Nerven ging, der kahlköpfige, kleine Israeli oder die dominante Deutsche in Latzhosen. Während er beiden Rede und Antwort stand, bemerkte er, wie Sara mit einem jungen spanischen Archäologen namens Carlos Ferrer plauderte.
Er wollte sich gerade dazustellen, als Gérard Girot, der Journalist von Le Monde, ihn ansprach und um seine Eindrücke von diesem bedeutsamen Abend bat. Luc gab höflich eine Stellungnahme ab, die der phlegmatische ältere Herr in seinem Notizbuch festhielt.
Aus den Augenwinkeln beobachtete Luc, wie Sara und Ferrer sich vom Schein des Feuers ins Dunkle zurückzogen.
Luc hatte noch ein halbvolles Glas Champagner in der Hand und ertappte sich dabei, wie er es in einem Zug austrank.
ELF
Das Team sah eher nach Astronauten als nach Archäologen aus.
Das Ökosystem einer seit
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