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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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riss sich von dem Anblick los und machte sich an die Arbeit. An verschiedenen Orten in der ersten Kammer brachte sie Sonden an, die Temperatur, Feuchtigkeit und Säuregehalt der Höhlenwände sowie den Sauerstoff-und Kohlendioxydgehalt der Luft messen sollten. Anhand dieser Daten konnte sie überwachen, welche Wachstumsbedingungen Pilze und Bakterien in der Höhle vorfanden. Bevor die Arbeiten des Teams begannen, mussten diese Sonden ihr zunächst eine Reihe von Basismesswerten liefern.
    Die Erfahrungen der Vergangenheit hatten die Wissenschaft gelehrt, für die Erforschung solcher Höhlen strenge Vorgaben zu entwickeln, nach denen die Höhle nur zwei Mal im Jahr für jeweils fünfzehn Tage betreten werden durfte. Doch auch in dieser Zeit war es nie mehr als zwölf Personen gestattet, gleichzeitig dort anwesend sein. Die Forscher arbeiteten deshalb nach einem genau festgelegten Stundenplan in Schichten. Wer nicht vor Ort sein konnte, wertete im Lager die in der Höhle gewonnenen Daten aus.
    Die erste dieser Arbeitsschichten diente hauptsächlich dazu, die Schutzmatten auszulegen und die gesamte Höhle mit einem Netz von Klima-Sonden zu versehen.
    Die Matten wurden von der oberen Felskante von einer aus Studenten gebildeten Menschenkette nach unten gereicht wie Sandsäcke bei einem Dammbau. Erst wenn sie ausgelegt waren, konnte Luc weitere Teile der Höhle betreten. Schon jetzt vermisste er die wunderbare Freiheit seines ersten Besuchs. Heute war er als Wissenschaftler hier und nicht als Entdecker und musste sich streng an die Regeln halten.
    Als Moran mit dem Verlegen der Matten fertig war, vermaß er alle zehn Kammern der Höhle mit seinem LaserRace 300 und stellte fest, dass sie mit 170 Metern etwas kürzer waren als die Lascaux-und die Chauvet-Höhle.
    Lucs Kopf schwirrte vor einer Vielzahl technischer und logistischer Fragen – schließlich war dieses Projekt viel umfangreicher als alle, die er bisher geleitet hatte. Doch als er die Malereien wieder sah, die Tiere, die Pflanzen, den Vogelmann, verflogen alle Sorgen. Er war kurz allein in der Kammer, die mit der Wisentjagd bemalt war. Im hellen Licht leuchteten die Farben noch viel intensiver als bei seinem ersten Besuch. »Ich bin zu Hause. Das hier ist mein Zuhause«, entfuhr es ihm trotz der Atemmaske so laut, dass es ihn selbst erschreckte.
    Bevor er zum Mittagessen aufbrach, bat Luc Desnoyers um seine Einschätzung der Fledermauslage. »Sie mögen keine Menschen«, sagte der kleine Mann, als ob er das den Tieren nicht verübeln könnte. »Wir haben hier einen gemischten Bestand, der zur Hauptsache aus Pipistrellus besteht. Eine große, aber keine riesige Population. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie die Höhle freiwillig verlassen und sich woanders niederlassen werden.«
    »Je früher, desto besser«, sagte Luc, und als der Fledermausforscher daraufhin nichts erwiderte, füge er hinzu: »Was halten Sie von den Malereien?«
    »Die habe ich noch gar nicht bemerkt«, antwortete Desnoyers.
     
    Am frühen Nachmittag versammelte sich die zweite Schicht, bei der auch der Journalist von Le Monde dabei war, in gespannter Vorfreude auf dem Felsvorsprung vor der Höhle. Als Luc sie durch die Höhle führte, fühlte er sich wie ein Künstler auf seiner Vernissage. Er verfolgte aufgeregt alle Reaktionen des Publikums, jedes Keuchen, jedes Raunen, jedes Glucksen. »Stimmt, sie sind wirklich außergewöhnlich«, erklärte er. »Ja, ich wusste, dass Sie beeindruckt sein würden«, sagte er immer wieder.
    Zwischen der Kammer mit der Wisentjagd und einem Abschnitt, den sie die Bärengalerie nannten, weil sich dort drei große Braunbären mit offenen, eckig gezeichneten Schnauzen überlappten, trat Zvi Alon an Luc heran. »Ich kann deine Vermutung, dass diese Malereien aus der Aurignac-Zeit stammen, einfach nicht glauben. Die polychromatische Abtönung ist dafür zu fortschrittlich.«
    »Deshalb ist es ja nur eine Vermutung, Zvi, die sich auf ein Werkzeug aus Feuerstein stützt, das ich in dieser Höhle gefunden habe. Aber schau dir den Umriss dieser Bären an, der ist doch mit Holzkohle gezeichnet, oder? An der können wir eine C-14-Datierung vornehmen. Sobald wir die haben, brauchen wir nicht länger über das Alter zu spekulieren.«
    »Ich kann dir jetzt schon sagen, wie alt diese Zeichnungen sind«, erwiderte Alon schroff. »Sie sind höchstens so alt wie die in Lascaux, vermutlich sogar bedeutend jünger. Trotzdem hast du eine wunderschöne Höhle entdeckt, das muss

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