Die Zeit: auf Gegenkurs
Sorgen zu machen. »Adrenalin«, sagte er und griff in seine Ärztetasche; einen Moment später gab er dem Anarchen eine Spritze.
»Also ist R. C. Buckley, die Verkaufskanone, ein Dichter«, stellte Bob Lindy halb ungläubig, halb verächtlich fest.
»Hören Sie auf damit«, fuhr ihm Cheryl Vale scharf an.
Sebastian beugte sich erneut über den Anarchen. »Wissen Sie, wo Sie sind, Sir?«
»Ich glaube, in einem Krankenzimmer«, flüsterte der Anarch. »Aber offenbar nicht mehr im Krankenhaus.« Wieder wanderten seine Augen hin und her, staunend und naiv, mit der Neugierde eines Kindes. Fragend. Vorbehaltlos alles akzeptierend, was er sah. »Sind Sie meine Freunde?«
»Ja«, versicherte Sebastian.
Bob Lindys Einstellung zu den Altgeborenen war mehr praktischer Natur, was sich auch jetzt wieder bemerkbar machte. »Sie waren tot«, klärte er den Anarchen auf. »Sie sind vor zwanzig Jahren gestorben. Während Sie tot waren, ist etwas mit der Zeit passiert; sie hat sich umgekehrt. Deshalb sind Sie wieder hier. Wie gefällt Ihnen das?« Er beugte sich vor, sprach langsamer, wie zu einem Ausländer. »Was halten Sie davon?« Er wartete, erhielt aber keine Antwort. »Sie werden Ihr ganzes Leben noch einmal durchleben müssen, bis zu Ihrer Kindheit und schließlich bis zum Säuglingsalter und wieder in den Mutterschoß zurück.« Wie zur Beruhigung fügte er hinzu: »Das gilt für uns alle, ob wir nun gestorben sind oder nicht.« Er wies auf Sebastian. »Dieser Bursche hier ist gestorben. Genau wie sie.«
»Dann hat Alex Hobart also recht gehabt«, stellte der Anarch fest. »Einige von meinen Anhängern haben daran geglaubt; sie haben mich zurückerwartet.« Er lächelte ein unschuldiges, begeistertes Lächeln. »Ich fand es großartig von ihnen. Ich frage mich, ob sie noch leben.«
»Sicher«, sagte Lindy. »Oder sie werden bald wieder am Leben sein. Begreifen Sie nicht? Wenn Sie meinen, daß Ihre Rückkehr irgend etwas zu bedeuten hat, befinden Sie sich im Irrtum; ich meine, es hat keine religiöse Bedeutung; es ist jetzt ein ganz natürlicher Vorgang.«
»Selbst unter diesen Umständen werden sie sich freuen«, erklärte der Anarch. »Hat sich einer von ihnen bereits an Sie gewendet? Ich würde Ihnen gern die Namen geben.« Er schloß wieder die Augen, und eine Weile schien er nur mühsam atmen zu können.
»Wenn es Ihnen besser geht«, versprach Dr. Sign.
»Wir sollten ihm erlauben, mit seinen Leuten Kontakt aufzunehmen«, sagte Pater Faine.
»Natürlich«, sagte Sebastian gereizt. »Das ist üblich; wir tun das immer; Sie wissen es.« Aber das hier war ein besonderer Fall. Und sie alle wußten es, von dem Anarchen natürlich abgesehen. Er schien glücklich darüber, wieder am Leben zu sein, und beschäftigte sich in Gedanken bereits mit jenen, die ihm nahegestanden hatten, von denen er abhängig gewesen war und die sich auf ihn verlassen hatten. Das glückliche Wiedersehen, dachte er. Nicht im nächsten Leben, sondern hier. Welche Ironie …, daß das Vitarium Flasche des Hermes in Groß Los Angeles, Kalifornien, zum Treffpunkt der Seelen wird.
Pater Faine sprach jetzt mit dem Anarchen; zwei Geistliche, ganz in ihrer gemeinsamen Angelegenheit vertieft.
»Das Epitaph an Ihrem Gedenkstein«, sagte Pater Faine. »Ich kenne das Gedicht; es interessiert mich, weil es meiner Meinung nach im völligen Widerspruch zu den Aussagen des Christentums steht, die Vorstellung einer unsterblichen Seele, eines Lebens nach dem Tod, der Erlösung. Haben Sie es ausgesucht?«
»Sie haben es für mich ausgesucht«, murmelte der Anarch. »Meine Freunde. Ich neigte dazu, Lucrez Recht zu geben; das war wohl der Grund.«
»Tun Sie es immer noch?« fragte Pater Faine. »Nachdem Sie den Tod, das Leben nach dem Tod und die Wiedergeburt erlebt haben?« Er wartete gespannt.
Der Anarch flüsterte: »›Diese Schüssel Milch, das Pec an jenem Krug, sind Wesen, fremd und weitgereist. Diese Schneeflocke war eine Flamme einst – die Flamme Teil eines Sternes Glut.‹« Er nickte, starrte hinauf zur Zimmerdecke. »Ich glaube noch immer daran. Ich werde es immer tun.«
»Aber was halten Sie hiervon?« sagte Pater Faine. »Die Saat, die wir einst waren, entflieht und fliegt, zur Erd’ sie sinkt, gen Himmel sie stiebt, getrennt, doch nicht verloren. Das Leben lebt weiter.«
Der Anarch schloß: »Die Lebenden sind’s, die Lebenden, die’s zum Tod hinzieht.« Seine Stimme war fast unhörbar, klang fremd und matt und einsam. »Ich weiß es
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