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Die Zeit: auf Gegenkurs

Die Zeit: auf Gegenkurs

Titel: Die Zeit: auf Gegenkurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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heraufzuholen.«
    »Der Unterschied«, erklärte Sebastian, »ist rein zeitlicher Natur. Eine Frage von Tagen oder Stunden, vielleicht nur Minuten. Sie denken nur nicht gern darüber nach.«
    »Denken Sie oft an Ihre Zeit als Leiche zurück?« fragte Lindy mit brutaler Direktheit. »Denken Sie oft darüber nach?«
    »Da gibt es nichts, worüber man nachdenken kann«, wehrte er ab. »Ich war mir meines Todes nicht bewußt; ich kam vom Krankenhaus in den Sarg, und im Sarg bin ich dann aufgewacht. Daran erinnere ich mich«, fügte er hinzu, »darüber denke ich oft nach.« Schließlich litt er wegen dieses Erlebnisses noch immer an Klaustrophobie. Wie viele Altgeborene; es war ihr gemeinsames psychologisches Erbe.
    »Ich glaube«, sagte Cheryl Vale, die aus einiger Entfernung zuschaute, »das widerlegt Gott und das Leben nach dem Tode. Was Sie gesagt haben, Seb; daß Sie nach dem Tod kein Bewußtsein gehabt haben.«
    »Nicht mehr, als das Fehlen voruterinärer Erinnerungen den Buddhismus widerlegt«, entgegnete Sebastian.
    »Richtig«, warf R. C. Buckley ein. »Nur weil sich die Altge borenen nicht erinnern können, heißt das noch lange nicht, daß nichts geschehen ist; oft, wenn ich morgens aufwache, weiß ich, daß ich die ganze Nacht wie verrückt geträumt habe, aber ich kann mich an nichts erinnern, an absolut nichts.«
    »Manchmal«, sagte Sebastian, »habe ich Träume.«
    »Was für Träume?« fragte Bob Lindy.
    »Ich träume von einer Art Wald.«
    »Und das ist alles?« sagte Lindy.
    »Es gibt noch einen anderen Traum.« Er zögerte, sprach dann aber doch weiter. »Von einer pulsierenden schwarzen Erscheinung, die wie ein riesiges Herz schlägt. Gewaltig und laut, bumm, bumm, auf und ab. Und sehr zornig. Alles aus mir herausbrennend, was sie mißbilligte … und das schien das meiste von mir gewesen zu sein.«
    »Dies Irae«, nickte Pater Faine. »Der Tag des Zorns.« Er wirkte nicht überrascht. Sebastian hatte schon mit ihm darüber gesprochen.
    »Und ich konnte spüren, wie lebendig sie war«, fügte Sebastian hinzu. »Sie war absolut lebendig. Im Vergleich dazu sind wir ein Funken Leben in einem Klumpen, der nicht lebt, den nur der Funken gehen und reden und handeln läßt. Aber diese Erscheinung besaß totale Wahrnehmung; sie hatte keine Augen oder Ohren, einfach totales Wahrnehmungsvermögen.«
    »Paranoia«, murmelte Dr. Sign. »Das Gefühl, beobachtet zu werden.«
    »Warum war sie zornig auf Sie?« fragte Cheryl.
    Er überlegte und sagte dann: »Weil ich nicht klein genug war.«
    »Klein genug«, wiederholte Bob Lindy voller Abscheu. »Was für ein Haufen Essen!«
    »Sie hatte recht«, bekräftigte Sebastian. »In Wirklichkeit war ich viel kleiner, als ich gedacht hatte. Oder als ich zugeben wollte; ich stellte mich mir größer vor, mit größeren Ambitionen.« Etwa, die Leiche des Anarchen an mich zu bringen, dachte er ironisch. Und eine Menge Geld zu machen; das war ein Beispiel dafür, ein hervorragendes Beispiel. Er hatte nichts dazugelernt.
    »Warum wollte diese Erscheinung Sie klein sehen?« bohrte Cheryl hartnäckig weiter.
    »Weil es stimmte. Es war eine Tatsache. Ich mußte mich der Tatsache stellen.«
    »Warum?« fragte Lindy.
    »Das ist es, was am Tag des Jüngsten Gerichts geschieht«, meinte R. C. Buckley philosophisch. »An diesem Tag muß man sich all den Dingen stellen, die man verdrängt hat. Ich meine, wir alle belügen uns selbst; wir erzählen uns selbst mehr Lügen als irgendeinem anderen Menschen.«
    »Ja«, nickte Sebastian; es stimmte. »Es ist schwer zu erklären«, sagte er. Es wäre interessant, mit dem Anarchen Peak darüber zu sprechen, vorausgesetzt, es gelang ihnen, ihn zurückzuholen; er wußte vielleicht mehr. »Er – Gott – kann einem nicht helfen, bis man begreift, daß alles, was man tut, von Ihm abhängt.«
    »Religiöses Futter«, sagte Lindy verächtlich.
    »Aber denken Sie darüber nach«, bat Sebastian. »Buchstäblich. Ich hebe meine Hand.« Er hob seine Hand. »Ich denke, daß ich es tue, daß ich es tun kann. Aber meine Hand wird von einem komplexen biochemischen, physiologischen Apparat bewegt, den ich geerbt habe, in den ich geschlüpft bin; ich habe ihn nicht konstruiert. Ein Blutpfropfen in einer Gehirnhälfte, ein Pfropfen, nicht größer als der Radiergummi an einem Bleistift, und ich könnte für den Rest meines Lebens die Hand nicht mehr heben oder das Bein bewegen oder sonst etwas mit dieser Hälfte anfangen.«
    »Sie kriechen vor seiner Majestät

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