Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Mädchen jedenfalls. Als Mann könnte ich Wale fangen oder Seehunde jagen oder was weiß ich nicht alles. Aber als Mädchen kann ich nur das machen, was meine Mutter auch tut.« Sie hatte eigentlich tapfer sein wollen, jetzt unterdrückte sie jedoch ein Schluchzen. »Wenn Sie mich nicht anstellen.« Fast hoffnungsvoll richtete sie den Blick auf die Kranke. »Und ich würde mich auch anstrengen. Ich würde viel arbeiten, ich könnte Ihnen wirklich helfen, ich …«
Linda Hempelmann hob schwach die Hand. »Aber ich werde nicht mehr lange da sein, Kind«, sagte sie sanft.
Kitten runzelte die Stirn. »Sie gehen weg?«, fragte sie verwirrt. »Mr. Hempleman gibt die Station auf?«
Kitten konnte das kaum glauben. George Hemplemans Geschäft lief schließlich sehr gut. Alle paar Monate verließ sein Kompagnon Captain Clayton die Station mit einem voll beladenen Schiff, und in England wurden Lebertran und andere Walerzeugnisse gut bezahlt. Außerdem hätten die Männer im Pub darüber geredet, wenn die Schließung der Station gedroht hätte.
Frau Hempelmann schüttelte den Kopf. »Nein«, flüsterte sie. »Mein Gatte wird wohl hierbleiben. Und mit Gottes Hilfe findet er vielleicht einmal eine andere Frau …«
»Eine andere …? Aber warum sollte er denn?«, fragte Kitten entsetzt. »Sie wollen ihn doch nicht verlassen, Sie …«
»Doch«, sagte Linda Hempelmann hart. »Wenngleich von wollen keine Rede sein kann. Georg …«, wie immer sprach sie den Vornamen ihres Mannes deutsch aus; sie konnte sich nicht daran gewöhnen, dass er seinen gesamten Namen anglisiert hatte, »… ist mir ein guter Mann gewesen, und ich war ihm eine liebende Frau. Aber ich … mein Gott, Kindchen, muss ich es wirklich aussprechen? Ich sterbe. Ich gehe zu Gott. Ich höre ihn schon nach mir rufen, Kätzchen.«
Kitten empfand plötzlich Hass auf diesen Gott, von dem sie vor ihrer Bekanntschaft mit Frau Hempelmann nie gehört hatte, der im Leben der gläubigen Deutschen aber offenbar eine große Rolle spielte. Und der jetzt beabsichtigte, Kitten um den einzigen Schutz zu bringen, auf den sie je hatte hoffen können!
»Das kann doch nicht sein, Frau Hempelmann!«, protestierte sie. »Sie sind doch noch nicht alt! Natürlich sind Sie krank, aber das wird wieder werden. Bisher haben Sie sich immer erholt, wenn Sie einen Anfall hatten. Und wenn Sie mich jetzt für Sie sorgen lassen … das wird im Handumdrehen wieder gut, und …«
Linda Hempelmann schüttelte erneut den Kopf. »Das wird nicht wieder gut, Kind, glaub’s mir. Der letzte Anfall war zu schwer – und ich bin müde, Kätzchen. Ich werde Gottes Ruf freudig Folge leisten. Nur um dich tut es mir leid, und selbstverständlich um Georg.« Sie streckte die Hand nach Kitten aus und streichelte leicht über ihre Wange.
»Aber … aber wann …?«
Kitten kämpfte erneut mit den Tränen, ihre Stimme klang erstickt. Dabei wusste sie natürlich, dass es auf diese Frage keine Antwort gab. Frau Hempelmann konnte nicht wissen, wann genau ihr Gott sie zu sich zu nehmen gedachte. Vielleicht ging das ja auch gar nicht so schnell. Vielleicht waren es noch viele Monate … ein Jahr … Kitten könnte das Geld sparen, das sie im Haushalt der Hemplemans verdiente. Und dann woanders hingehen, der Walfangstation entfliehen, wenn Frau Hempelmann gestorben war …
»Ein paar Tage vielleicht, Kindchen«, nahm die Kranke ihr dann jedoch die letzte Hoffnung. Ihre Stimme klang, als wollte sie jetzt schon verwehen. »Höchstens ein paar Wochen. Und du musst verstehen … du wirst verstehen … ich kann dich nicht ins Haus nehmen. Wie würde denn das aussehen? Wie würde mein Mann dastehen, wenn er sich so ein junges Ding ins Haus holte, ein paar Tage bevor seine Gattin … Es tut mir wirklich leid, Kleines …«
Kitten biss sich auf die Lippen. Der Ruf George Hemplemans war ihr völlig egal. Aber auch, wenn Frau Hempelmann sich umstimmen ließe – es wäre allgemein hoffnungslos, dem Pub nur für ein paar Tage oder Wochen entfliehen zu wollen. Barker würde erneut die Hand auf sie legen, sobald Linda Hempelmann gestorben wäre.
»Willst du uns jetzt einen Tee kochen, Kätzchen, Liebes?«, flüsterte Frau Hempelmann. »Vielleicht … vielleicht könnte ich ja mit Georg noch einmal über dich sprechen. Vielleicht gibt es irgendeine Möglichkeit … eine Familie in Port Victoria oder so, die ein Hausmädchen sucht …«
Die Kranke versuchte, ermutigend zu klingen, Kitten machte sich
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