Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
und Hacken. Der Sand begann schon, sich vom Blut rot zu färben, die ersten Feuer brannten … Kitten bemühte sich, das Tier nicht anzusehen. Sie hatte einmal einem der sterbenden Wale ins Auge geblickt und würde den Anblick nie vergessen. Aber da war zum Glück George Hempleman. Und Kitten brauchte nicht viel zu erklären. Er kam sofort auf sie zu, als er sie sah.
»Mädchen …« George Hempleman nannte Kitten nie beim Namen, manchmal fragte sie sich, ob er überhaupt wusste, wie man sie rief. »Ist etwas mit …«
Kitten nickte. »Sie lässt Sie rufen«, sagte sie und kam dann kaum mit, als George Hempleman den Weg zum Haus hinaufhastete.
Beide waren außer Atem, als sie das Krankenzimmer erreichten. Heraus klang immer noch die hohe Fistelstimme des betenden Reverends. Frau Hempelmann musste also noch am Leben sein.
Kitten bekam sie allerdings nur noch einmal kurz zu Gesicht. Jetzt, da es offenbar zu Ende ging, wollte George Hempleman seine Gattin allein sehen.
»Sie warten draußen, Reverend!«, bestimmte er, während er sich an ihrem Bett niederließ. »Und du, Mädchen … vielen Dank … In den letzten Tagen warst du meiner Frau eine große Hilfe, und wir werden sicher auch noch über eine kleine Vergütung …«
»Kätzchen …«, flüsterte Linda Hempelmann, aber ihr Gatte ging nicht darauf ein, er machte vor allem keine Anstalten, Kitten noch einmal zu ihr vorzulassen.
»Jetzt geh bitte. Du wirst am Strand ja auch etwas zu tun haben … oder wo auch immer … Ich glaube, Barker hat sogar nach dir gefragt. Also, bitte …« Er machte eine Handbewegung, als wollte er das Mädchen wegscheuchen.
»Ich komme nachher wieder, Frau Hempelmann!«, rief Kitten der Kranken noch zu.
Für sie sah es eigentlich gar nicht so aus, als wollte Linda Hempelmann in den nächsten Minuten sterben. Womöglich übertrieb der Reverend, und sie würde am Abend noch nach Kitten verlangen. Kitten machte sich damit Mut, als sie das Haus verließ. Aber in ihrem Kopf hallte immer nur der letzte schwache Ruf ihrer mütterlichen Freundin wider: Kätzchen …
Kitten hatte keine Lust, an den Strand zu gehen. Sie verkroch sich lieber im Wald und behielt das Haus im Auge. Vielleicht spürte Linda ja ihre Anwesenheit … Für Kitten war die Nähe auf jeden Fall tröstlich. Irgendwann fiel ihr ein, dass es die Sterbenskranke vielleicht gefreut hätte, wenn sie für sie betete. Kitten versuchte es pflichtschuldig, hatte allerdings nicht das Gefühl, als hörte ihr irgendjemand zu. Selbst die Bäume, in denen sie doch sonst oft eine überirdische Präsenz zu spüren meinte, schwiegen. Nicht einmal der Wind rauschte in ihren Ästen.
Im Haus rührte sich zunächst stundenlang nichts, erst sehr viel später, als es schon begann, dunkel zu werden, und die Südbuchen gespenstische Schatten warfen, hörte Kitten ein Keuchen und eine ärgerliche Stimme, die nach ihr rief. Eine Frauenstimme! Sie dachte zunächst wider alle Vernunft an Frau Hempelmann, aber dann erkannte sie Noni. Außer Atem schleppte sich die rundliche Hure den Weg hinauf.
»Kitten!«, schnaufte sie halb verärgert, halb erleichtert. »Da bist du ja! Komm jetzt, sonst zieht Barker uns beiden das Fell über die Ohren. Hat Suzanne vor einer Stunde geschickt, dich zu holen. Die hat’s natürlich vergessen, wenn sie’s überhaupt verstanden hat. Sie ist heute schon den ganzen Tag völlig weggetreten. Und jetzt sollte ich dich hübsch angezogen mit in den Pub bringen. Du warst jedoch nicht da … und Barker …«
»Ich soll mich umziehen?«, fragte Kitten. »Das … neue Kleid anziehen? Aber … aber er wird mich doch nicht heute …«
Noni schüttelte den Kopf. »Ach was, heute sind die Kerle viel zu kaputt nach all der Arbeit mit dem Wal. Appetit machen will er ihnen. Wenn das Vieh morgen ganz zerlegt ist, kriegen sie ihren Lohn, dann wollen sie feiern. Und wenn sie dich heute schon mal in vollem Staat sehen, dann können sie die ganze Nacht von dir träumen. Also, komm jetzt, Kitten, es wird Zeit. Du willst doch nicht, dass Barker selbst hier raufkommt und dich an den Haaren runterschleift!«
Dem fetten Wirt und Zuhälter war das zuzutrauen. Und wenn er hier herumpöbelte, hörte man es womöglich im Haus. Kitten seufzte. Dann warf sie noch einen letzten, liebevoll besorgten Blick auf das Heim der Hemplemans, bevor sie Noni zum Strand folgte. Sie würde schnell ihren Auftritt hinter sich bringen und dann in Linda Hempelmanns Nähe zurückkehren.
»Nun
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