Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
schließlich wieder an. »Morgen! Morgen nach der Arbeit erwarte ich euch alle hier im Pub …«
»Nein!«
Kitten wandte sich erschrocken nach der befehlsgewohnten Stimme um, die Barker eben vom Eingang des Pubs aus unterbrach. Es konnte kein Retter sein, das gab es nur in kitschigen Geschichten von Prinzen und Prinzessinnen. Tatsächlich erkannte sie denn auch nur Mr. Hempleman. Der schob sich nun vor und baute sich vor seinen Männern auf.
»Morgen, Männer, bleibt der Pub geschlossen. Linda, meine geliebte Gattin, Gott habe sie selig, ist vor einer Stunde heimgegangen. Morgen nach der Arbeit werde ich die traurige Pflicht haben, sie zu Grabe zu tragen – und ich erwarte euer aller Anwesenheit!«
Während er sprach, ließ Mr. Hempleman seinen Blick drohend über die gesamte Gesellschaft im Pub wandern – und erfasste damit schließlich auch Kitten, die sich darunter wand. Hoffentlich erkannte er sie nicht unter der Schminke und in dem Kleid, in dem sie so erwachsen wirkte. Hoffentlich …
Aber das war natürlich unmöglich. »Auch deine, du … schamlose kleine Hure!«, sagte Hempleman verächtlich, nachdem er ihren Aufzug kurz gemustert hatte. »Meine Frau hat sich immer um dich gekümmert. Und jetzt, in ihrer Todesstunde, stehst du da und spreizt dich vor deinen Freiern. Widerlich! Du … du verdienst nicht …« Er sprach nicht weiter, sondern wischte sich kurz über die Augen. »Also, Männer!« Hempleman wandte sich zum Gehen. »Und im Übrigen: Auch für heute ist hier Schluss. Ich wünsche nicht, durch trunkenen Lärm gestört zu werden, wenn ich Totenwache halte.«
Kitten fühlte sich schrecklich, andererseits war sie jedoch auch erleichtert ob der Galgenfrist, die sich ihr durch die Schließung des Pubs auftat. Sie kletterte zitternd vom Tisch. Barker ließ sie in Ruhe, er umschwirrte jetzt Hempleman, um ihn seines Beileids zu versichern und Verständnis für die Schließung des Pubs zu heucheln.
Kitten nutzte die Gelegenheit, sich hinauszuschleichen. Obwohl es zu regnen begonnen hatte, verzog sie sich in den Wald und rollte sich im Schutz einer noch recht jungen Nikau-Palme zusammen. Sie bot Schutz vor der Nässe, aber Kitten bemerkte den Regen ohnehin kaum. Ihre Wangen waren schon nass von ihren Tränen.
KAPITEL 4
Der nächste Tag verging mit dem weiteren Ausweiden des Wals, fachmännisch Abflensen genannt. Das Tier wurde nicht nur abgespeckt, man entnahm ihm auch die Barten für das begehrte Fischbein, das zu Korsetts und Reifröcken für Frauen verarbeitet wurde, schöpfte Walrat aus der Schädelhöhle und suchte im Darm nach Ambra – ein zur Parfümherstellung genutzter Stoff, der sein Gewicht in Gold wert war. Die Stimmung der Männer dabei war gedrückt, sie fühlten sich um ihr Fest am Abend betrogen und sorgten sich auch darüber, ob Hempleman sie gleich entlohnen oder auch das auf einen der nächsten Tage verschieben würde.
Kitten kehrte, steif und durchnässt nach der Nacht im Wald, zu den Frauen zurück. Sie war hungrig und erschöpft nach ihrer einsamen Totenwache und ließ es stoisch über sich ergehen, dass Noni wegen des verschmutzten »Hochzeitskleides« mit ihr schimpfte. Das rote Ding musste gewaschen werden – Noni bekundete wortreich ihre Erleichterung darüber, dass es wenigstens erst am nächsten Tag gebraucht werden würde.
Gegen Abend trug man Linda Hempelmann zu Grabe, schnell war ein Sarg gezimmert worden. Kitten hätte ihn gern mit Rata-Blüten geschmückt, sie wagte aber nicht, sich George Hempleman zu nähern, der kaum von der Seite seiner toten Gemahlin wich. Um keine weiteren Vorwürfe zu riskieren, hielt sie sich bei der Trauerfeier hinter den Männern, auch die Huren hielten Abstand. Suzanne summte weggetreten vor sich hin, während der Reverend die Totengebete sprach, Priscilla hatte alle Hände voll zu tun, sie halbwegs ruhig zu halten. Schließlich stimmte der Priester eine Hymne an, und die Männer, die sie kannten, sangen unmelodisch mit. Die große Mehrzahl gab höchstens eine Art Brummen von sich. Ein paar Iren intonierten am Ende Danny Boy , was Kitten von all dem Gesang und den Gebeten noch am schönsten fand. Und dann war es vorbei. Der Sarg wurde in die Grube gesenkt, und die Männer, die nicht mit dem Zuschütten des Grabes betraut worden waren, verzogen sich.
Kitten hockte sich mit Priscilla und Noni vor Nonis Hütte. Der Regen war zum Glück wieder mildem Frühlingswetter gewichen. Da der Pub geschlossen war, versammelten sich die
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