Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Stroh aus dem nächsten Mietstall zu holen. Die beiden erledigten diese Aufgabe ernst und ohne den Frauen zu nahe zu treten. Im Gegenteil, sie schienen Ida selbstverständlich zu respektieren, und Cat war wohl auch schon ein gewisser Ruf vorausgeeilt. Paddy war von ihrem Messerwurf äußerst beeindruckt gewesen und erzählte die Geschichte sicher herum. Aber auch andere Geschichten machten die Runde. Als Cat den Schankraum verließ, hörte sie die höhnische Stimme der Hure Lucie, die im Pub das große Wort führte.
»Die treibt’s nich mit jedermann, Jungs! Die is so ’ne Art Indianerhure, hat Jamie erzählt, der Knecht von den Beits damals. Wenn die ’ne Frau wollen, dann legen sie ihr erst mal ’nen Skalp zu Füßen. Und dann essense zusammen Menschenfleisch!«
Cat zuckte zusammen. Wenn sich diese Gerüchte jetzt wieder verbreiteten …
»Blödessinn!« Jemand fiel Lucie ins Wort, und Cat erkannte Ottfrieds trunkene Stimme. »Die nicht macht mit euch, weil nur macht mit mich. Gehört mir, verstehen? Frau mein …«
Cat rieb sich die Stirn und floh. An dieser Geschichte strickte Ottfried wohl schon länger. Aber wahrscheinlich war es besser, als Ottfried Brandmanns Kurtisane zu gelten denn als Angehörige eines Kannibalenstamms.
Ida und Cat schliefen schließlich wie tot in ihrem Verschlag neben Paddys Pub, und in den nächsten Tagen sollte sich das sonderbare Arrangement erstaunlich gut bewähren. Ottfried ließ die Frauen in Frieden, ebenso Lucie, die ohnehin selten vor der Mittagszeit aus ihrem Zimmer im ersten Stock kam. Ottfried schien bei ihr zu nächtigen. Er verdiente wirklich Geld, auch wenn er sich offenbar nicht nach einer festen Stelle umsah, sondern sich jeden Tag im Hafen neu verdingte, um Schiffe zu entladen, oder anderen Hilfsarbeiten nachging. Viele Männer aus Sankt Paulidorf taten das Gleiche.
»Tagelöhner«, sagte Ida mit schiefem Lächeln. »In Raben Steinfeld haben sie auf Karl herabgesehen, und jetzt leben sie alle von der Hand in den Mund.«
Sie hatte Cat inzwischen von Karl erzählt – wenn auch nicht von ihrer besonderen Beziehung zu ihm und vor allem nicht von seinen Heiratsanträgen.
»Aber nicht aus Not«, meinte Cat.
Sie war bei den Partridges gewesen, um einige dringende Einkäufe zu tätigen, und hatte mit Elsbeth gesprochen. Idas Schwester erzählte deprimiert von ihrem Vater, der täglich im Magistrat vorsprach und jedem, der ihm dort begegnete, wegen neuer Landzuteilungen auf die Nerven fiel. Offenbar hofften immer noch viele Siedler auf eine zweite Chance, obwohl John Nicholas Beit, der sie damals angeworben hatte, längst fort war, ebenso wie Colonel Wakefield. Nach ihm hatte der Landvermesser Tuckett sein Amt im Magistrat innegehabt, aber auch der war inzwischen gegangen. Er erschloss Land für schottische Siedler in Otago. Für die deutschen Siedler gab es keine Hoffnung, trotzdem weigerten sich viele von ihnen, sich einfach eine Arbeit zu suchen und sich irgendwo in oder um Nelson inmitten englischer Nachbarn anzusiedeln. Lieber hielten sie sich mit Aushilfstätigkeiten über Wasser und hofften auf ein Wunder.
Elsbeth machte diese Sturheit Angst. Sie konnte sich noch so oft sagen, dass ihr Vater nie aus Nelson herauskommen würde, seine Entschlossenheit erfüllte sie dennoch mit Besorgnis. Wenn Lange und Brandmann auch nur den Funken einer Hoffnung sehen würden, irgendwo ihr zweites Raben Steinfeld zu errichten, würden sie nicht zögern.
»Dabei ist hier alles bestens«, fuhr Elsbeth vergnügt fort. »Mrs. Partridge hat so viel zu tun mit Amanda und Paul. Stine Krause kommt nicht mehr, jetzt, wo sie ihr zweites Kind hat und ihr Mann gut verdient.«
Die Krauses hatten sich gut eingefügt in Nelson und waren zufrieden. Sie waren noch unter Frederick Tucketts Obhut zurückgekommen, und der ehemalige Landvermesser, der ihre Geschichte kannte, hatte sie großzügig unterstützt und ihnen zu einem Grundstück und einem Haus am Rande der Stadt verholfen.
»Jedenfalls können die Partridges mich im Laden gut brauchen«, freute sich Elsbeth. »Sie zahlen mir sogar ein kleines Gehalt! Aber das sag ich Vater nicht! Sonst muss ich es abgeben, wir sollen doch alle für neues Land sparen. Aber ich nicht, Cat, ich geb’s für mich selbst aus! Schau mal!«
Cat bewunderte pflichtschuldig die hübsche neue Haarspange, die Elsbeth sich von ihrem ersten Lohn geleistet hatte. Doch auch sie selbst konnte ihre Einkäufe von eigenem Geld bestreiten. Ein paar Tage nach ihrer
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