Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
schöner Strand! Wie in Bahia.«
»Da war’s aber wärmer.«
»Die Musik war gut. Denkst du auch noch manchmal an die Musik?«
»Klar!«
Eric begann, nicht untalentiert, einen Rhythmus zu klatschen und zu summen. Betty fiel sofort ein. Cat, die sich eben nach Ida umsah, erkannte den flüchtigen Ausdruck von Sehnsucht auf ihrem Gesicht …
Auch am Abend, als die Reisenden sich um ihr Feuer versammelten, lockerten die beiden blinden Passagiere die Atmosphäre auf. Betty und Eric löffelten ihre Fischsuppe genauso hungrig wie die Erwachsenen – das letzte Wegstück des Tages war hart gewesen, und beide hatten ihren Anteil an der Arbeit, die Wagen über einen grundlos schlammigen Weg zu lenken, klaglos geleistet. Sie dachten allerdings nicht daran, anschließend schweigend in den Sternenhimmel zu starren, um sich dann so bald wie möglich zurückzuziehen. Stattdessen schwatzten sie miteinander, bis die Anspannung zwischen den Erwachsenen ihr Gespräch erstickte. Betty schaute verwundert von einem zum anderen.
»Warum … warum erzählen Sie uns nicht mal die Geschichte«, wandte sie sich dann etwas schüchtern, aber entschlossen, das Eis zu brechen, an Joe Gibson. »Die, nach der Sie uns benannt haben, vorhin. Die in England jeder kennt.«
Gibson wehrte ab. »Ich bin kein guter Geschichtenerzähler«, sagte er dann.
»Ach, das glaub ich nicht!« Betty schenkte ihm ein süßes Lächeln. »Sie können das bestimmt. Versuchen Sie es doch einfach!«
Ida gab sich einen Ruck. Es war besser, die Kinder merkten nicht, wie es zwischen ihr und Cat und Ottfried stand. Sie mochten es merkwürdig genug finden, wenn sie gleich mit Cat und nicht mit ihrem Mann das Zelt teilte. Und vielleicht war es ja auch wirklich Zeit, ein bisschen das Eis zu brechen.
»Nun haben Sie uns jedenfalls neugierig gemacht, Mr. Gibson«, wandte sie sich mit etwas spröder Stimme und gezwungenem Lächeln an den Kompagnon ihres Mannes. »Also bitte, erzählen Sie die Geschichte!«
Gibson räusperte sich. »Also gut«, begann er. »Da waren zwei Familien …«
Kurze Zeit später lauschten Betty und Eric, Ida und Cat gebannt seiner Erzählung. Nachdem die ersten Sätze etwas steif herauskamen, berauschte sich Joe schnell selbst an seinen Worten, und am Ende, als er anrührend schilderte, wie Julia Romeo in den Tod folgte, mussten Ida und ihre Schwester weinen.
»Das war soo schön!«, schluchzte Betty. »Kennen Sie nicht noch so eine Geschichte?«
Joe lachte. »Nein. Jedenfalls keine, die ich noch heute Abend erzählen wollte. Ich brauch jetzt einen Whiskey, um die Stimme zu ölen. Wenn ihr noch was hören wollt, dann muss jemand anders erzählen …«
Er stand auf, holte eine Flasche aus seinem Wagen und reichte sie der ihm am nächsten sitzenden Cat weiter, nachdem er einen langen Schluck genommen hatte. Sie griff verwundert zu und nippte an dem scharfen Getränk, bevor sie die Flasche an Eric weitergab. Der Junge nahm den Whiskey stolz entgegen, trank aber sehr vorsichtig. Dies war sicher nicht sein erster Alkohol – aller Strenge des alten Brandmanns zum Trotz.
»Was ist nun mit noch einer Geschichte?«, fragte Betty in die Runde, nachdem auch sie mutig einen Schluck genommen und den darauffolgenden Hustenreiz halbwegs erfolgreich unterdrückt hatte.
»Heute nicht mehr«, beschied sie Cat. »Wir müssen alle schlafen. Aber morgen … morgen kann ich euch eine erzählen. Die Geschichte von der Entdeckung Aotearoas.«
»Erdkunde?«, fragte Eric gelangweilt.
Pastor Riemenschneider hatte regelmäßig mit den Siedlerkindern Schule gehalten, begeistert hatte er sie mit seinen eher drögen Vorträgen allerdings nicht.
Cat lachte. »Nein. Es ist eine Liebesgeschichte. Mit Mord und Totschlag und geraubten Frauen … Die Maori haben auch ihre Romeos und Julias. Wozu mir Papa und Rangi einfallen … Aber wie gesagt, morgen. Jetzt gehen wir erst mal schlafen. Betty kommt zu uns ins Zelt, und Eric schläft unter dem Wagen!«
Ida und Ottfried hatten nie andere Geschichten gehört als biblische – die wenigen Erzählungen, an die Ida sich aus der Schule erinnerte, ausgenommen. Doch Cat hatte bei den Maori unendlich viele Märchen gehört, und so unterhielt sie die Runde an den nächsten Abenden mit der Geschichte von Kupe, der Kura-maro-tini raubte und auf der Flucht mit ihr eine nebelverhangene Insel entdeckte, die Kura zuerst für eine Wolke hielt.
»Sie nannten sie Aotearoa, Land der weißen Wolke, und es sollte ihre neue Heimat werden.
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