Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Ihnen einen Tee, und dann erzählen Sie, was vorgefallen ist. Es schleicht doch hier nicht wirklich jemand ums Haus! Abgesehen von ein paar Kiwis vielleicht.«
Resolut zog die kleine dunkelhaarige Frau Ida auf die Beine, führte sie in die Küche und heizte den Ofen an. Ida zitterte vor Kälte, obwohl es draußen warm war. Bewegungslos und von Angst geschüttelt hatte sie in ihrem Versteck gesessen, nun war sie durchgefroren.
»Ich war so allein«, murmelte sie schließlich, als Laura ihr einen Becher Tee in die eiskalten Hände drückte.
Ida trank in kleinen Schlucken und spürte dankbar das Leben in sich zurückkehren – und ihre Fähigkeit, klar zu denken. Dabei regte sich sofort ihre Scham. Was musste Laura von ihr halten! Wie dumm konnte man sein, um sich aus Furcht vor Gespenstern zu verkriechen?
»Und zuerst war alles still. Aber dann hab ich Schreie gehört und Lärm und …«
»Die üblichen Nachtgeräusche«, beruhigte Laura sie. »Kind, Sie haben schon so oft in einem Zelt geschlafen. Sie müssen doch wissen, wie es sich anhört, wenn die Vögel schreien und die Insekten zirpen. Andererseits kann ich Sie schon verstehen. Hier ganz allein, in diesem … in diesem … Gott, nicht, dass ich Ihnen noch mehr Angst mache. Aber für mich war das hier auch immer ein unheiliger Ort.«
»Ein heiliger«, stellte Ida richtig. »Cat sagt, für die Maori ist er heilig. Tapu .«
»Ich dachte, tapu heißt in erster Linie verboten«, meinte Laura. »Aber lassen wir das. Auf jeden Fall ist es nicht gut für Sie, hier allein zu sein. Und dem machen wir jetzt ein Ende. Sie kommen mit runter und bleiben ein paar Tage bei mir. Danach sehen wir weiter.«
»Und die anderen? Ihre Familie? Und mein Mann, wenn er zurückkommt … Ich komme mir so dumm vor!« Ida rieb sich die Stirn. Sie konnte sich gut vorstellen, was Ottfried zu ihrem Verhalten sagen würde. »Und ich muss mich auch daran gewöhnen, allein zu sein.«
»Jetzt müssen Sie erst mal wieder zu Kräften kommen!«, erklärte Laura resolut. »Wie lange haben Sie nichts gegessen? Das ist sehr schädlich für das Kind, wissen Sie?«
Ida nickte. »Chasseur ist auch hungrig«, sagte sie leise. »Ich … ich hab ihm gesagt, er soll Ratten jagen, doch er … er wollte nicht weg von mir.«
Laura verzog das Gesicht. »Und die Ratten haben derweil fröhlich um Sie herumgetanzt und Ihnen noch mehr Angst gemacht«, bemerkte sie. »Der Hund ist ja sehr nett, als Jäger allerdings nicht brauchbar. Ein Hütehund.«
Wie um das zu widerlegen, tauchte Chasseur vergnügt vor ihnen auf und hielt eine tote Ratte im Maul. Fressen wollte er sie allerdings nicht, eher schien er zu hoffen, dass Ida den Kadaver gegen etwas Schmackhafteres tauschte. Die schauderte, riss sich jedoch so weit zusammen, das Tier zu loben.
»Ich schau mal in Ihre Speisekammer«, meinte Laura und zauberte aus den dort gelagerten Vorräten kumara , Käse und Rauchfleisch ein schnelles Essen. Zufrieden sah sie zu, wie Ida es hungrig verschlang – und natürlich wurde auch der Hund nicht vergessen.
»So, und jetzt kommen Sie mit mir, keine Widerrede. Du auch, Chasseur, kannst mit unserer Suzie spielen. Aber nur spielen, nicht mehr! Das Letzte, was uns fehlt, sind Welpen von dem Streuner.«
Laura packte rasch ein paar Kleidungsstücke für Ida zusammen, legte ihr einen Schal um die Schultern und nötigte sie hinaus. Verwirrt schaute Ida im strahlenden Sonnenschein dieses Frühherbsttages auf den wolkenlosen Himmel, die Berge am Horizont und den Wald, der nun, bei Tageslicht, kein bisschen bedrohlich wirkte. Wie hatte sie sich nur in eine solche Panik hineinsteigern können? Aber sie war überzeugt davon, die Geister weinen gehört zu haben. Bei den Redwoods würde es ihr sicher bessergehen.
Schließlich folgte sie Laura denn auch ohne weiteren Widerspruch. Es war ein langer Fußmarsch. Zu Pferde schaffte Laura die Strecke zu ihrer Farm in weniger als zwei Stunden, wie sie glaubhaft versicherte. Aber Ida konnte nicht reiten, und Laura scheute sich, sie nach all der Aufregung nun auch noch mit aufs Pferd zu nehmen. Es war sowieso ein Wunder, dass ihr Kind die Strapazen überlebt hatte.
»Sie haben jedenfalls ein kräftiges Baby!«, erklärte sie der jungen Frau. »Es wird gewiss ein prächtiges Kind!«
Ida legte unsicher die Hand auf ihren Leib. In der Nacht allein im pa hatte sie sich um das Baby gesorgt, sonst empfand sie jedoch nicht viel für das Leben, das da in ihr heranwuchs. Eigentlich war es
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