Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Erfahrung in der Geburtshilfe bei Menschen, über die Te Ronga ihr viel beigebracht hatte. Vor allem fand sie unerwarteten Spaß an der Arbeit mit den Schafen. Sie hatte auch die Kühe in Sankt Paulidorf und Purau gemocht, ihre Größe hatte ihr allerdings immer etwas Respekt eingeflößt. Die Schafe dagegen waren kleiner und handlicher und ihre Lämmer außerordentlich niedlich. Dazu gefiel Cat der Umgang mit den Hütehunden, an den sie sich schnell gewöhnte. Sie war musikalisch und lernte die Pfiffe, mittels derer man sie kontrollierte, schneller als Ida und Karl. Aber auch Ida fand unerwartet große Freude daran, beim Ablammen zu helfen. Sie griff beherzt zu und ließ sich auch von Blut und anderen Körperflüssigkeiten nicht abschrecken. Zu Cats Erstaunen beschränkte sich ihre anerzogene Prüderie auf den Umgang mit Menschen. Wenn die kleinen wolligen Geschöpfe blökend neben ihren Müttern standen und der Milchquelle zustrebten, war Ida stolz und überglücklich.
»Es gefällt dir also auf einer Schaffarm?«, fragte Karl vorsichtig, als sie ihm strahlend ihre Schützlinge vorstellte. Die letzten drei Lämmer gehörten zu seinen Schafen.
Ida lächelte schüchtern. »Wem könnte es hier nicht gefallen?«, fragte sie und wies auf das Farmhaus und die Weiden von Riccarton.
Der Anblick war wirklich idyllisch, so schön war Raben Steinfeld auch an den klarsten Sommertagen nicht gewesen. Ansonsten erinnerte die Landschaft schon ein wenig an Mecklenburg, wenn man sich die majestätische, mal klar zu erkennende und mal im Nebel wabernde Silhouette der Südalpen wegdachte. Sie gab der Landschaft einen unwirklichen Anstrich. Manchmal sah es aus, als grasten die Schafe in einem Vorhof des Himmels. Die Gegend um Riccarton Farm war nur ganz leicht hügelig. Das Tussockgras prangte jetzt, zu Beginn des Sommers, in sattem Grün, die Schafe wirkten auf den Weiden wie weiße Farbspritzer. Die Farmhäuser der beiden Deans-Familien waren einfach aus Holz gebaut, aber ihr bunter Anstrich stimmte jeden Betrachter sofort fröhlich. Dahinter gab es Ställe und Scherschuppen. Über den leuchtend blauen Himmel zogen watteweiße Wölkchen, als würde auch dort oben eine Herde Schafe weiden. Sein Blau und die Schatten der Wolken spiegelten sich in dem träge etwas abseits der Farm dahinfließenden Avon.
»Es ist einfach wunderschön hier«, sagte Ida.
Karl nickte. »Sicher. Aber wäre es das, was du dir immer gewünscht hast? Kannst du dir vorstellen, auf einer solchen Schaffarm zu leben? Würde es dich … glücklich machen?«
Über Idas Gesicht zog ein Schatten. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich mir nicht viel wünschen kann?«, fuhr sie ihn an. »Und das Glück ist sicher auch nicht auf meiner Seite. Wenn du’s unbedingt wissen willst – im Moment kann ich mir alles vorstellen, was mir hilft, den Mädchen ein sicheres Heim zu schaffen. Ich möchte morgens aufstehen, ohne mich fürchten zu müssen. Und abends …« Sie brach ab. Schließlich war ihr schmerzlich klar, dass sie sich niemals niederlegen würde, ohne sich zu fürchten, solange sie mit Ottfried verheiratet war. Karl sollte das jedoch nicht wissen. »Abends möchte ich die Ruhe und den Frieden eines christlichen Heims genießen«, vervollständigte Ida ihren Satz.
Ihre Worte klangen nicht würdevoll, sondern kläglich. Karl brach es das Herz.
Letztendlich blieben Karl und sein Anhang zwei Wochen bei den Deans, bevor sie alle den Waimakariri hinaufzogen. Karl hatte William zum Dank ein Mutterschaf mit einem Lamm überlassen, einem prächtigen kleinen Widder.
»Der wird mal einer der Stammväter dieser Zucht«, freute sich William und lud Karl freundlich ein, weiterhin mit den Deans zusammenzuarbeiten. »Es ist immer gut, mal Tiere auszutauschen, auch Rinder. Wenn eure Kuh ein Bullenkalb kriegt … wir wären sehr interessiert.« Die Deans hatten mehrere Rinder, doch fast alle aus eigener Zucht und eng miteinander verwandt.
Das Treiben der Schafe den Fluss hinauf gestaltete sich einfacher, als Karl befürchtet hatte. Chasseur erwies sich beim Hüten als Naturbegabung, nach der kurzen Zeit, in der die Deans mit ihm gearbeitet hatten, kannte er schon die wichtigsten Befehle. Buddy lag das Treiben sowieso im Blut, und Brandy, Karls Pferd, schien es ebenfalls Spaß zu machen, die Schafe zu kontrollieren. Oft ahnte er voraus, wo Karl Hilfe brauchte, und setzte ganz selbstständig einem ausscherenden Tier nach. So folgten die Schafe brav dem Wagen, der
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