Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
den Himmel gefolgt.
Gott gibt und Gott nimmt, hatte Jakob Lange stoisch gesagt, Ida war jedoch untröstlich gewesen.
»Dein Vater ruft zu einer Gebetsversammlung?«, erkundigte Karl sich jetzt und schob sich so neben die fröstelnde Ida, dass sein Körper ihr zumindest ein wenig als Windschutz diente. Er hätte alles darum gegeben, eine warme Jacke zu besitzen, die er jetzt ausziehen und schützend um sie hätte legen können. Ihr Umhang schien sie nicht ausreichend zu wärmen. »Bei diesem Wetter? Und an einem Dienstag? Ist irgendjemand krank?«
Dass man ihn selbst nicht dazu eingeladen hatte, wunderte Karl nicht. Dabei war sein Vater durchaus eine Stütze der Altlutherischen Gemeinde gewesen. Der Pastor hatte die schöne Singstimme des tiefgläubigen Friedrich Jensch, die den Kompositionen Martin Luthers bei jedem Gottesdienst Leben einhauchte, sehr geschätzt. Genutzt hatte es Jensch nicht viel, die wohlhabenderen Gemeindemitglieder hatten ihn schnell vergessen, als er sterbenskrank zu Hause gelegen hatte. Karl lag das bis heute auf der Seele, und er hatte sich immer wieder zu entsprechend kritischen Äußerungen dem Pastor und den Bauern und Häuslern gegenüber hinreißen lassen. Seitdem galt er als streitlustig und aufsässig. Man duldete ihn in der Kirche, aber man bezog ihn nicht ein.
Jetzt sah er, dass Ida den Kopf schüttelte. »Nein, keine Gebetsversammlung«, sagte sie und schüttelte den Schnee ab, der sich wie eine Decke über das Tuch legte, das sie über ihr Haar geworfen hatte. »Es geht um … Vater war doch neulich in Schwerin.« Das kam häufig vor, Jakob Lange war ein hervorragender Schmied und galt als Pferdekenner. Selbst der Junker erkannte ihn als solchen an und nahm ihn mit, wenn ein Pferdekauf anstand. Diesmal war es um ein Schlittengespann gegangen. Karl hatte die prächtigen Tiere kürzlich von Weitem bewundern können. »Und da hat er ein Plakat gesehen … und dann einen Mann getroffen, einen vornehmen Herrn mit einem seltsamen Namen. Also mit Nachnamen heißt er Beit, das ist einfach. Aber mit Vornamen so was wie Joon Nicholas.«
Karl überlegte. »Nie gehört«, befand er. »Wer soll das sein?«
»Er gehört zu einem … ich weiß auch nicht, einem Handelshaus oder was auch immer … Jedenfalls heißt es Neuseelandkompanie, schreibt sich jedoch komisch: in drei Wörtern und die Kompanie mit C und am Ende mit Y und Neuseeland mit Z. Eine Hamburger Reederei hat auch was damit zu tun …« Ida erzählte stockend, aber eifrig – irgendetwas an dieser Sache schien ihr auf der Seele zu liegen.
»Über Neuseeland haben wir damals gelesen!«, erinnerte sich Karl, froh, etwas zum Gespräch beitragen zu können. »Das Buch von Kapitän Cook, weißt du noch?«
Er lächelte ihr verschwörerisch zu. Ida erwiderte den Blick eher etwas gequält. Bestimmt hatte sie Ärger bekommen, als das Buch damals verschwunden war. Vielleicht hatte es auch nur mit den Plänen ihres Vaters zu tun.
»Er will auswandern!«, brach es jetzt aus ihr heraus. »Also, mein Vater. Dieser Beit wirbt Siedler an für Neuseeland. Da gibt es angeblich sehr viel Land, und jeder kann es kaufen. Nicht so wie hier …«
In Mecklenburg war die Leibeigenschaft erst gut zwanzig Jahre zuvor abgeschafft worden, und immer noch konnten Bauern und Handwerker lediglich zur Erbpacht Land erwerben. Das galt zwar als sicher, gerade die Männer der Altlutherischen Gemeinden misstrauten jedoch der Regelung. Der Herzog von Mecklenburg hatte sie zwar nie wegen ihres Glaubens verfolgt, wohl aber der letzte König, Friedrich Wilhelm III . von Preußen. Sein Sohn hatte das Verbot, altlutheranische Gottesdienste zu feiern, nach dessen Tod aufgehoben, doch Jakob Lange und andere glaubten nicht an dauerhaften Frieden. Die Landjunker konnten ihr Festhalten an der reinen Lehre Martin Luthers jederzeit als Vorwand nehmen, sie von ihren Ländereien zu vertreiben.
»Und jetzt möchte Vater auch die anderen Häusler dafür gewinnen«, berichtete Ida weiter. »Wir könnten mit der ganzen Gemeinde gehen, meinte Herr Beit, und teuer sei es auch nicht. Dreihundert englische Pfund für die Passage und mehr als achtzig Morgen Land. Ich weiß nicht, wie viel das in Taler ist, aber mein Vater sagt, wir könnten es uns alle leisten.«
Karl seufzte wieder. Auf die Häusler mochte das zutreffen, vielleicht auch auf einige Bauern, für ihn wäre es allerdings selbst dann undenkbar gewesen, hätte es sich nur um dreihundert Pfennige gehandelt. Dabei
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