Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
ließ der Gedanke an ein neues Land sein Herz schneller schlagen. All das hier schon bald hinter sich lassen, ein ganz neues Leben beginnen …
Ida schien diese Begeisterung nicht zu teilen. Sie wirkte eher bedrückt.
»Aber du möchtest nicht gehen?«, fragte Karl einfühlsam.
Ida zuckte die Schultern. »Ich gehe, wohin mein Vater geht«, sagte sie schlicht, »oder mein Mann …«
Karl empfand die Bemerkung wie einen Stich ins Herz. Dabei wusste er natürlich, dass Ida Lange mit Ottfried Brandmann verlobt war – der Pastor hatte es vor nicht allzu langer Zeit von der Kanzel aus verkündet. Die beiden könnten eigentlich bald Hochzeit feiern. Ida war fast siebzehn Jahre alt, meist wurden die Mädchen in diesem Alter verheiratet. Aber die junge Frau vertrat nach wie vor die Mutter bei den jüngeren Geschwistern, und Jakob Lange wollte sie wohl gern im Haus behalten, bis die jüngeren Kinder etwas selbstständiger waren. Zudem schien es Ottfried nicht allzu eilig mit dem Ende seiner Zimmermannslehre zu haben. Er arbeitete zwar in der Werkstatt seines Vaters, hatte sein Gesellenstück aber noch nicht abgeliefert. All das konnte jedoch nur noch eine Frage von Monaten sein.
»Dieser Ottfried!«, brach es aus Karl heraus. Er wusste nicht, was in ihn fuhr, vielleicht war es die seltsame Atmosphäre des Spaziergangs, die Dämmerung, in welcher der Schnee gespenstische Schleier wob, die Karl und Ida gemeinsam vor der Wirklichkeit verbargen. »Du willst ihn wirklich heiraten? Liebst du ihn?«
Ida blieb stehen und sah ihn verwirrt aus großen Augen an. »Er ist ein guter Mann«, sagte sie. »Und der älteste Sohn, er erbt die Häuslerstelle. Wenn wir nicht … auswandern … Mein Vater …«
»Vergiss doch mal deinen Vater, Ida!«, flehte Karl. »Überleg, was du beim Gedanken an diese Hochzeit empfindest. Willst du … begehrst du Ottfried?«
Idas ohnehin winterbleiches Gesicht schien noch mehr zu erblassen, bis sie die Bedeutung seiner Worte voll erfasste. Umgehend errötete sie schamhaft.
»Was gebrauchst du für Worte, Karl Jensch!«, tadelte sie ihn, und Karl bereute seinen Ausbruch sofort.
Wahrscheinlich würde sie das Gespräch jetzt abbrechen und nie wieder mit ihm reden. Aber da irrte er sich. Ida brauchte eine kurze Zeit, sich zu fassen, dann suchte sie nach einer Antwort.
»Jedes Mädchen heiratet …«, sagte sie mit leiser Stimme. »Das ist … gottgewollt. Und dass sie ihrem Ehegatten zugetan ist … das kommt dann schon. Ottfried passt zu mir. Er ist Handwerker, er ist gläubig … Mein Vater sagt, es muss passen. Alles andere kommt dann schon.« Ida schaute Karl Zustimmung heischend an.
Der dachte jedoch gar nicht daran, Verständnis zu heucheln. »Aber was ist mit deinem Herzen, Ida?«, bedrängte er sie stattdessen. »Du musst doch etwas empfinden für deinen künftigen Gatten! Hat man dich überhaupt gefragt, ob du ihn heiraten willst? Hat er dich gefragt?«
Karl konnte sich nicht bezähmen, diese Fragen zu stellen, die ihn seit der Bekanntgabe der Verlobung quälten. Dabei war es Irrsinn, sich so gehen zu lassen. Ida würde noch merken, was er für sie fühlte, und dann wurde es vollends peinlich.
»Ottfried ist ein guter Mann«, wiederholte Ida. »Er hat mir ein Geschenk zum letzten Weihnachtsfest gegeben. Und wir haben uns schon oft an den Händen gehalten nach dem Gottesdienst. Es passt sehr gut … er … er kommt aus gutem altlutherischem Haus …«
Karl gab es auf. Ida schien nicht zu begreifen, worauf er hinauswollte, oder sie wollte sich nicht damit auseinandersetzen. Auf jeden Fall schien sie die Entscheidung ihres Vaters, sie mit Ottfried Brandmann zu verheiraten, nicht infrage zu stellen, und auch Ottfried fand sich wohl bereitwillig hinein in das Schicksal, das Jakob Lange und Peter Brandmann da zweifellos in ernsthaftem Gespräch für ihre Kinder vereinbart hatten. Nun war das kein Wunder, die Übereinkunft der Väter bescherte ihm schließlich die Ehe mit dem schönsten Mädchen des Dorfes.
»Und jetzt wirst du mit Ottfried auswandern?«, wechselte Karl unglücklich das Thema. »Nach Neuseeland? Das ist weiter weg als Amerika …«
Ida versuchte, gleichzeitig zu nicken und die Schultern zu zucken. »Es ist viel weiter weg als Amerika«, bestätigte sie dann. »Ich glaube, drei Monate mit dem Schiff. Aber ich weiß nicht, ob Brandmanns mitkommen. Das wollen sie ja heute eben besprechen, die Männer … Vielen Dank, Karl, dass du meinen Sack getragen hast.«
Das
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