Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Chapeaurouge & Co. Die werden das Schiff stellen. Beit hat Beglaubigungen und Bestätigungsbriefe von allen denkbaren Stellen. Er ist sicher kein Gauner …«
»Ist er rechten Glaubens?«, erkundigte sich der Schuhmacher.
Lange zuckte die Schultern. »Das habe ich nicht gefragt. Aber er ist Familienvater, seine Frau und seine Kinder werden mit uns reisen. Außerdem zwei Missionare. Wir werden also auf dem Schiff nicht ohne geistlichen Beistand sein.«
»Rechten Beistands?«, fragte Busche streng.
»Herr Beit hat mir versichert, dass in der Gegend um Nelson, in der das uns zugedachte Land liegt, bereits eine Missionsstation besteht – besetzt von Geistlichen, die vor der Herrschaft des Preußenkönigs flohen. Also sicher keine Reformierten. Beit hat mir außerdem versichert, dass wir unser eigenes Gemeinwesen gründen können. Wenn wir also gemeinsam auswandern, werden wir unser Gemeindeleben fortführen können, wie wir es gewohnt sind.« Lange nahm sich ein Stück Brot von dem Teller, den Ida gerade auf den Tisch gestellt hatte, und bestrich es dick mit Leberwurst. »Alles wird genauso sein wie hier, wir behalten unsere Sprache, unsere Bräuche …«
»In Neuseeland ist jetzt Sommer.« Ida biss sich auf die Lippen, kaum dass ihr die Worte entschlüpft waren. Aber sie hatte es sagen müssen. Es würde nicht »genauso sein wie hier«. Es war ein anderes Land, es gab dort andere Pflanzen, andere Tiere … andere Sterne! Sie dachte an das Buch über Kapitän Cook.
Die Männer lachten gutmütig.
»Na, das ist doch mal ein Argument!«, erklärte Horst Friesmann, der Landwirt, dem am Tag zuvor erst das Scheunendach unter den Schneemassen zusammengebrochen war.
»Der Argumente gibt es viele!«, schnaubte Lange und warf seiner Tochter einen strafenden Blick zu. »Gerade für euch Bauern. Mensch, Friesmann, denk nach! Was hast du hier an Land? Sieben Hektar! Das reicht kaum zum Leben, wenn du im Sommer nicht noch für den Junker arbeitest wie ein dreckiger Tagelöhner! Aber da! Zwanzig Hektar gleich, und so viel Land zum Dazukaufen, wie du nur eben willst. Meilenweit freies, wildes Land, das nur darauf wartet, dass wir es urbar machen!«
»Zu › wild ‹ fallen mir erst mal Eingeborene ein«, bemerkte Beckmann, der Sattler. »Wie ist es mit … Indianern?«
Die anderen Männer nickten. Über die Gräueltaten der Ureinwohner Amerikas hatten sie alle schon Schauergeschichten gehört.
»Indianer gibt es nicht, meint Beit«, erläuterte Lange. »In dem Land gab’s wohl ursprünglich gar keine Menschen. Vor den Engländern sind noch ein paar Neger von irgendwelchen Inseln gekommen. Sollen aber harmlos sein. Und wenn sie gerade auf dem Land siedeln, das wir haben wollen, dann kauft man es ihnen für ein paar Glasperlen ab …«
Ida biss sich auf die Lippen. In dem Buch über Kapitän Cook hatte anderes gestanden. Dem Seefahrer zufolge waren die Einwohner Polynesiens durchaus wehrhaft, es war sogar von Menschenfressern die Rede.
»Klingt wie das Paradies!«, höhnte Brandmann. »Ein Paradies für dreihundert englische Pfund. Aber ist das gottgewollt, Lange? Liegt da Segen drauf?«
Jakob Lange faltete die Hände. »Das Geschenk der göttlichen Gnade …«, zitierte er Martin Luther. »Es wird der erlöst, der es gläubig annimmt. Nicht die Kleinmütigen, Peter. Nicht die Zauderer! Vertrauen wir auf Jesus Christus, vertrauen wir darauf, dass Gott uns leitet, dass er es war, der mich nach Schwerin führte, gerade als John Nicholas Beit dort seinen Vortrag hielt. Wir sind den wahren Lehren immer treu geblieben – da ist es doch nur recht und billig, wenn Gott uns dafür belohnt. Ihr müsst es nicht gleich entscheiden, aber bald.« Er wies auf die Broschüren, die er aus Schwerin mitgebracht und auf den Tisch gelegt hatte. »Nehmt sie euch mit, lest sie, ich habe auch ein paar Plakate, die ich draußen anschlagen werde, sobald der Schneefall nachlässt. Und nun lasst uns alle beten, dass Gott uns erleuchtet und auf den rechten Weg führt. Auch wenn es ein langer ist …«
Weiter weg als nach Amerika, dachte Ida.
Und am nächsten Tag tat sie etwas, das sie selbst nicht verstand. Ida nahm eine der Broschüren und schob sie unter der Haustür der Mietkate durch, die Karl Jensch bewohnte. Natürlich achtete sie darauf, dass niemand sie dabei sah, am allerwenigsten Karl selbst. Er sollte nicht glauben, dass sie ihn narren wollte – schließlich würde er die dreihundert Pfund niemals aufbringen. Aber er sollte doch
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