Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Gesellschaftsschicht im Allgemeinen hingaben. Sie machte sich nichts aus Kleidern, sie tanzte nicht gern. Ausfahrten im regnerischen Hamburg reizten sie in keiner Weise, und Reiten war ihr ein Gräuel!
Sehr viel lieber erledigte Jane die Korrespondenz für ihren Vater, kümmerte sich um die Anmietung von Logierhäusern für die Siedler vor der Einschiffung und versandte die Reiseunterlagen. Natürlich kontrollierte sie auch eingehende Zahlungen, mahnte sie im Zweifelsfall an und koordinierte die Zusammenarbeit mit De Chapeaurouge – der Kaufmann hatte über das Chartern eines passenden Schiffes verhandelt. Jane hatte sogar den Werbezettel verfasst, während ihr Vater nur das tat, was er am besten konnte: Er redete und verhandelte, knüpfte Kontakte und hielt Vorträge, um Siedler anzuwerben. Kein Wunder, dass er diese Freiheit nicht aufgeben wollte. Zumal es Tage dauern und natürlich Geld kosten würde, an Janes Stelle einen Schreiber oder Buchhalter einzuarbeiten.
Jane seufzte und griff geistesabwesend nach einem Pralinee, während sie den ersten Brief öffnete. Sie hatte keine Lust dazu, obwohl sie sich sagte, dass sie die Arbeit im Kontor eigentlich noch genießen sollte, solange sie andauerte. Denn darüber, was in Neuseeland auf sie wartete, machte Jane sich keine Illusionen. In dem Moment, in dem die Bark Sankt Pauli , die De Chapeaurouge inzwischen gechartert hatte, den Hafen verließ, würde Beit seine Tochter nicht mehr brauchen. Auf dem Schiff gab es für sie nichts zu tun, und die Landzuteilung in Nelson und die damit verbundenen Schreibarbeiten würden Mitarbeiter der New Zealand Company oder des Gouverneurs übernehmen. Jane konnte sich nur noch gemeinsam mit ihren Schwestern langweilen, bis ihr Vater irgendeinen Mann für sie fand. Womöglich einen, der nur darauf brannte, ihr ein Blockhaus zu bauen …
Der Brief fesselte dann allerdings doch ihre Aufmerksamkeit. Eine sorglich gefaltete Seite eines Schulheftes, auf das jemand in fast kindlicher Schönschrift die Anschrift des Kontors Beit geschrieben hatte. Das Siegel war nicht erkennbar, aber als Jane das Schreiben jetzt las, wurde ihr klar, dass der Absender es wohl dem Schreiber irgendeines Landjunkers zur Versendung überlassen hatte. Wahrscheinlich gegen ein für seine Verhältnisse fürstliches Entgelt …
Gnädigster Herr John Nicholas Beit,
untertänigst möchte ich hiermit eine Anfrage an Euch richten, bezüglich einer Auswanderung nach Neuseeland. In meiner Hand liegt ein Faltblatt, das Land zum Kauf in einem Ort namens Nelson anbietet, und viele hochangesehene Mitglieder der hiesigen Kirchengemeinde erwägen die Umsiedlung. Auch mich würde das Leben in einem neuen Land über alles reizen. Ich bin ein guter und fleißiger Arbeiter und könnte überall nützlich sein, wohin Eure Company mich zu schicken beliebte, um vielleicht Häuser zu bauen oder Felder urbar zu machen. Allerdings besitze ich kein Geld, ich verdinge mich als Tagelöhner im Flecken Raben Steinfeld. Ich arbeite hart, der Verdienst reicht jedoch kaum zum Leben, und ich kann nicht glauben, dass dies wirklich der Ort ist, an dem Gott mich sehen will. So also wende ich mich nach innigem Gebet und in der Hoffnung, Ihr mögt mir meine Dreistigkeit vergeben, an Eure hochgeschätzte Person. Gibt es auch für mittellose Neusiedler Arbeit in Neuseeland? Besteht vielleicht die Möglichkeit, dass mir die New Zealand Company das Geld für die Schiffspassage vorstreckt, um dann in den ersten Monaten oder Jahren über meine Arbeitskraft verfügen zu können? Ich bin ein ehrlicher Mann, Ihr könnt darauf bauen, dass ich alles daransetzen würde, meine Schulden umgehend auf Heller und Pfennig zurückzuzahlen.
In der Hoffnung auf Eure und Gottes Hilfe, Verständnis und Vergebung
Karl Jensch
Darunter stand eine Adresse, ein Gutshof in Mecklenburg. Der Schreiber des Junkers würde eine eventuelle Antwort wohl weiterleiten.
Jane zupfte an ihrem Ohrläppchen und nahm ein weiteres Pralinee, während sie eine Antwort auf dieses Schreiben erwog. Die Anweisungen ihres Vaters waren eigentlich unmissverständlich: Anfragen von Tagelöhnern und anderen Habenichtsen waren vorerst grundsätzlich abzulehnen. Später, kurz vor der Einschiffung, mochte sich das ändern. Wenn sich keine zahlenden Siedler mehr fanden, konnte der verbleibende Platz auf dem Schiff an mittellose Siedler vergeben werden. Die New Zealand Company war dafür offen. Nachdem sich in England nicht gleich Siedler für die neu
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