Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
geehrter Herr Jensch,
im Namen der New Zealand Company danke ich Ihnen herzlich für Ihre Bereitschaft, in Nelson, Neuseeland, zu siedeln. Der Aufbau dieses neuen Gemeinwesens wird viel Anstrengung und Arbeitskraft erfordern. Junge, gesunde Siedler sind uns deshalb auch dann willkommen, wenn ihre Ansiedlung nicht gleich mit Landerwerb gekoppelt ist. Gefordert sind lediglich Mut, Fleiß und Redlichkeit, Eigenschaften, über die Sie, Ihrem Schreiben zufolge, wohl im Übermaß verfügen.
Ich freue mich deshalb, Ihnen hiermit die Reiseunterlagen übersenden zu können. Bitte lesen Sie alles aufmerksam und finden Sie sich pünktlich mit allen erforderlichen Papieren an den genannten Stellen ein.
Mit freundlichen Grüßen
J. Beit
J. Beit – der Beauftragte der New Zealand Company hatte sich also persönlich mit seinem Anliegen beschäftigt. Karl wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Er konnte nicht fassen, was er hier in Händen hielt, aber dann nahm er sich doch zusammen, ließ sich in seiner staubigen Kate auf die Knie nieder und dankte Gott für ein neues Leben.
KAPITEL 3
Karls erster Impuls nach Erhalt seines Briefes war, Ida von der Bewilligung seiner Ausreise zu erzählen. Er wusste nicht, ob sie es war, die den Werbezettel unter seiner Tür durchgeschoben hatte, aber er nahm es an. Und wenn nicht, dann hoffte er zumindest, dass sie sich darüber freuen würde, wenn er ihr in ihre neue Heimat folgte. Natürlich würde dies nichts an ihrem Vorhaben ändern, Ottfried Brandmann zu heiraten – er zweifelte nicht daran, dass dies das Erste wäre, was sie ihm versichern würde.
Die Brandmanns hatten sich inzwischen definitiv entschieden, bei der Auswanderung dabei zu sein. Insgesamt würden elf Familien aus Raben Steinfeld, vor allem Häusler, aber auch einige Landwirte, dem Ruf nach Neuseeland folgen. Sie alle waren Honoratioren des Ortes. Das Dorf würde nicht mehr das Gleiche sein, wenn sie abzogen, der Junker bedauerte allerdings höchstens den Verlust Langes als Schmied und Pferdekenner. Ansonsten waren die Familien überall im Lande groß, und obwohl meist alle Söhne eines Häuslers dessen Handwerk erlernten, konnte nur der Älteste Werkstatt und Hausstelle übernehmen. Die anderen zogen als Wandergesellen umher, immer auf der Suche nach einer frei werdenden Wirkungsstätte. Jakob Lange, Peter Brandmann und die anderen Auswanderer hatten ihre Erbpachthöfe und Werkstätten also schnell verkaufen können. Der Junker hatte ihren Nachfolgern das Geld dazu vorgestreckt. Die Handwerker und Bauern waren ihm damit auf Jahre verpflichtet – neue Leibeigene für den Herrn im Schloss.
Während Karl seine Papiere immer und immer wieder ansah, spielte er die Unterhaltung mit Ida in Gedanken durch und malte sich aus, wie sie auf seinen Triumph reagieren würde. Es würde nicht einfach sein, ein »zufälliges« Treffen herbeizuführen. Nach wie vor war das Dorf tief verschneit, und die Auswanderer, gerade die Frauen, waren drinnen mit dem Packen und Aussortieren ihrer Sachen beschäftigt. Ob er also einfach zum Haus der Langes lief, Ida herausrief und es ihr erzählte? Die Versuchung war groß, denn im Grunde war es jetzt ja gleichgültig, ob er sich damit den Unmut ihres Vaters zuzog. Er würde in dem neuen Land nicht mehr darauf angewiesen sein, für die Raben Steinfelder zu arbeiten, sicher gab es genug andere Siedler.
Irgendetwas ließ Karl jedoch zögern. Vielleicht war es einfach Aberglaube, womöglich auch eine Art Instinkt, der ihn warnte. Zumindest in Raben Steinfeld war Karl der einzige Habenichts, den Beit mit nach Neuseeland nehmen würde – und bestimmt würden es die Dörfler missbilligen, dass sie für die Passage zahlten, während für Karl die Company aufkam. Wer wusste schon, was den missgünstigen Honoratioren des Ortes einfallen mochte, um ihm diese Suppe doch noch zu versalzen? Womöglich fanden sie irgendetwas, das ihn zwingend an diesen Ort band, brachten den Junker gegen ihn auf oder hinderten den Pastor daran, ihm eine Abschrift aus dem Kirchenbuch anzufertigen, um damit die Ausstellung seines Passes zu verzögern.
Nach reiflicher Überlegung kam Karl zu dem Schluss, Vorsicht walten zu lassen und niemandem etwas zu sagen. Es war besser, wenn die anderen erst auf dem Schiff erfuhren, dass er mit von der Partie war – alle Auswanderer, auch Ida. Die konnte ihn zu leicht verraten, falls er Pech hatte und jemand sah, wie er sich mit ihr unterhielt. Wenn ihr Vater sie dann unter Druck
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