Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
erschlossenen Ländereien in Nelson gefunden hatten, warb man dort sogar vorwiegend Tagelöhner an. Beit suchte dies allerdings zunächst zu vermeiden, wobei er die salbungsvollen Worte zu wiederholen pflegte, mit denen auch die Pastoren und Junker die Habenichtse auf ihre Plätze verwiesen: Nehmt in Demut hin, was Gott euch beschert hat, und macht euch nicht der Sünde der Hoffart schuldig, indem ihr nach Höherem strebt.
Tatsächlich steckten dahinter ganz handfeste finanzielle Überlegungen, was Jane blitzschnell bemerkte und ihrem Vater umgehend vorhielt. Wobei sie sein Kalkül durchaus nachvollziehen konnte – sie hasste es nur, wenn er sie für dumm hielt. Aber die Rechnung war eigentlich klar: John Nicholas Beit erhielt für jeden Siedler, der in Nelson gesund vom Schiff stieg, achtzehn englische Pfund. Beim zahlenden Kunden war dieses Geld Reinverdienst. Die dreihundert Pfund, die die Auswandererfamilien aufbrachten, deckten leicht die Schiffspassage auch für vielköpfige Familien, und das bisschen Geld, mit dem man den Maori-Stämmen das Land bei Nelson abhandelte, war ohnehin nicht der Rede wert. Also obendrein ein satter Profit für die New Zealand Company, die Beit natürlich zufriedenstellen wollte, und für De Chapeaurouge, der das Schiff stellte. Nahm man hingegen Tagelöhner mit, so ging das Geld für ihre Schiffspassage von Beits Verdienst ab, und man riskierte obendrein, der neuen Gemeinde Nelson Faulenzer und Nichtskönner in den Pelz zu setzen. Wenn überhaupt Plätze für sie frei blieben, so würde Beit also umfangreiche Nachforschungen über mittellose Ausreisewillige anstellen, indem er ihre Pastoren und eventuelle frühere Arbeitgeber zu ihnen befragte.
Bei diesem Karl Jensch sah Jane hier schwarz. Die Art, in der das Schreiben abgefasst war, sprach zwar für einen klugen Kopf, aber auch für Widerspruchsgeist. Der Brief klang, als hätte man ihm seine mangelnde Demut und Fügsamkeit oft genug vorgeworfen. Karl Jensch schien dennoch fest entschlossen, Gott ein Schnippchen zu schlagen! Er wollte seinen jämmerlichen Platz in dieser Welt nicht akzeptieren – und jetzt, Ironie des Schicksals, lag sein Leben in der Hand von Jane Beit.
Jane biss gedankenverloren in ein drittes Pralinee. Sie überlegte, ob sie um Gottes Beistand flehen sollte, bevor sie eine Entscheidung traf. Aber sie hatte keine Lust zu beten. Wozu auch? Hier tat kein Gott ein Wunder, sondern höchstens ein dickes Mädchen, dem es in den Fingern juckte, seinem Vater ein bisschen von seiner Ungerechtigkeit heimzuzahlen. Jane griff lächelnd nach Papier, Feder und Tinte. Es war ein gutes Gefühl, Macht zu haben.
Eine Woche später öffnete Karl Jensch mit zitternden Fingern ein dickes Kuvert, das ihm der Schreiber des Junkers eben ausgehändigt hatte. Nicht ohne einen weiteren Pfennig zu kassieren natürlich, obwohl der Absender sicher für die Zustellung des Briefes bezahlt hatte. Karl bemühte sich, den schweren braunen Umschlag nicht kaputt zu machen, womöglich konnte man ihn irgendwann noch einmal gebrauchen. Aber er war zu aufgeregt. Das Papier zerriss unter seinen Fingern, und aus dem Kuvert fiel … eine Schiffspassage! Karl konnte es nicht glauben, aber das Billett erlaubte ihm ausdrücklich, am 26 . 12 . 1842 in Hamburg an Bord der Bark Sankt Pauli zu gehen, garantierte ihm Verpflegung während der Überfahrt auf dem Zwischendeck und enthielt Angaben über erlaubtes und empfohlenes Gepäck und Preise für den Transport weiterer persönlicher Güter. Weiterhin enthielt der Umschlag einen Schein, der beim Logierhaus Hanse vorzuweisen war, um eine Unterkunft vor der Einschiffung zugewiesen zu bekommen, eine Anweisung, sich vor der Abreise zu einer medizinischen Untersuchung am Hamburger Hafen zu melden, und ein Berechtigungsschreiben zur Mitreise in einem der vom Handelshaus De Chapeaurouge gestellten Fuhrwerke, welche die Auswanderer und ihr Gepäck von Mecklenburg nach Hamburg bringen sollten. Ein weiteres Schriftstück enthielt Anweisungen darüber, wo man sich den für die Reise erforderlichen Pass ausstellen lassen konnte und welche Unterlagen dazu benötigt wurden. Karl würde sich an ein Kontor beim Fürstentum Mecklenburg wenden müssen und sein Arbeitsbuch sowie einen Auszug aus dem Kirchenbuch beibringen.
Der junge Mann suchte hektisch nach dem Beischreiben, in dem sein Ansinnen positiv beschieden wurde. Schließlich entdeckte er die Antwort auf seinen Brief, geschrieben auf feinstem Bütten.
Sehr
Weitere Kostenlose Bücher