Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
zweifellos Wälder in dem neuen Land, Ida hatte aber auch von weiten grasbewachsenen Ebenen gelesen … Müßig fragte sie sich, ob Ottfried sein Gesellenstück nun wohl endlich abgeliefert hatte, aber wahrscheinlich würde in Neuseeland kein Mensch danach fragen.
Irgendwann hörte sie dem Gerede der jungen Männer nicht mehr zu. Sie fiel in einen unruhigen Halbschlaf, war jedoch alles andere als ausgeruht, als sie Hamburg schließlich erreichten. Die Stadt war imponierend und einschüchternd. Ida war froh, dass der Kutscher wusste, wo das Logierhaus lag, in dem sie untergebracht werden sollten, und dass er sie gleich dort ablieferte. Ottfried und Anton zogen sofort wieder los, die Stadt zu erkunden, aber Ida hätte der Vater das natürlich nie erlaubt, und sie zeigte auch kein Bedürfnis danach. In einem der schmucklosen, dennoch sauberen und ordentlichen Schlafsäle brachte sie die quengelnden Kinder ins Bett, wusch die Unterwäsche noch rasch aus – wer wusste schließlich, wann sie noch einmal Wasser dazu haben würde. Am kommenden Morgen stand immerhin die ärztliche Untersuchung an, bei der sie nicht schmutzig wirken wollte – und legte sich dann selbst ebenfalls hin. Völlig erschöpft schlief sie sofort ein und erwachte nur noch kurz, als die jungen Männer zurückkehrten und der Vater und Herr Brandmann mit Anton und Ottfried schimpften. Beide rochen auffällig nach Schnaps – die Jungen mussten auf die Abreise angestoßen haben.
»Aber es ist doch Weihnachten!«, rechtfertigte sich Anton trunken.
Das stimmte. Ida fiel plötzlich siedend heiß ein, dass sie über all der Aufregung und all den Vorbereitungen völlig vergessen hatte, dass der 24. Dezember war. Am 26. sollte die Sankt Pauli auslaufen.
»Umso schlimmer, dass ihr Gott lästert, indem ihr in der Nacht der Geburt seines Sohnes trunken herumtorkelt!«, erregte sich Lange.
Die Männer zwangen ihre Söhne, niederzuknien und Gott um Verzeihung zu bitten, andere Siedler riss das jedoch aus dem Schlaf. Sie beschwerten sich, und schließlich verschoben Brandmann und Lange die Buße auf die Frühmesse am nächsten Morgen. Die Wirtin des Logierhauses kannte eine Kirche, in der nach altlutheranischem Ritus gefeiert wurde.
Ida und zumindest ihre kleineren Geschwister traten adrett und sauber zu der Messe an. Ida trug einen langen dunkelblauen Rock und eine hochgeschlossene helle Bluse, darüber eine hellblaue Kittelschürze. Ihr Haar versteckte sie unter einer sauberen weißen Haube. Elsbeth kleidete sie ähnlich, sie trug allerdings ein Kleid unter der Schürze. Ida hatte es vorsorglich ausgelassen, sodass es schon fast so lang war wie die schickliche Kleidung einer Erwachsenen. Das Mädchen konnte während der Reise schließlich wachsen – nicht auszudenken, wenn ihm das Kleid dann nur noch bis zu den Knien reichte! Der kleine Bruder war ordentlich in leinene Hosen und ein weites Hemd gehüllt, eine Jacke von Anton hatte Ida ihm noch geändert. Sie war dennoch viel zu groß – Franz war sieben, Anton sechzehn Jahre alt. Die Kinder der Auswanderer trugen allerdings alle Kleider zum Hineinwachsen, dafür musste Ida sich nicht schämen. Insofern wirkte lediglich Anton etwas derangiert nach der kurzen Nacht, seine Kleider stanken nach der Hafenkneipe, in der er sie wohl zur Hälfte verbracht hatte. Ida hoffte, dass sie ihn vor der ärztlichen Untersuchung noch dazu bringen konnte, die Sachen im Logierhaus zu wechseln, aber daraus wurde nichts.
Nach der Messe erwartete die Auswanderer nämlich schon ein höchst ungeduldiger John Nicholas Beit. Ein rundliches Mädchen stand neben ihm und setzte einen Haken neben ihre Namen, die auf einer Liste standen. Neugierig betrachtete Ida den Mann, dem sie die Wendung in ihrem Leben zu verdanken hatten. Sie fand ihn imponierend. Beit war groß und beleibt, sein breites, grobknochiges Gesicht verdeckte ein Vollbart fast zur Gänze. Er wirkte respekteinflößend – so stellte Ida sich einen biblischen Patriarchen vor. Im Umgang mit den Siedlern, die sich gleich um ihn drängten, um Fragen zu stellen, zeigte er sich allerdings unwirsch und verärgert. Nachdem er ihre Pässe kontrolliert hatte, wies er ihnen rasch den Weg zum Hafen, wo der Arzt sie zur Untersuchung erwartete.
»Sie sind spät, ich hatte Ihnen doch mitteilen lassen, Sie möchten sich um acht Uhr zur Gesundheitskontrolle einfinden!«, tadelte er die künftigen Passagiere der Sankt Pauli .
Jakob Lange zuckte die Schultern. »Am Weihnachtstag ist
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