Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
wie Deutsch. Zumal du auch ein sehr gutes Deutsch sprichst …« Viele Dörfler machten sich nicht die Mühe, sich um Hochdeutsch zu bemühen, wie der Lehrer es in der Schule von ihnen erwartete. Außerhalb der Unterrichtsstunden sprachen sie nur Platt. »Am besten kaufst du dir gleich in Hamburg ein Wörterbuch. Dann kannst du es auf dem Schiff schon einmal studieren, es ist ja eine lange Reise …«
Karl nickte und fühlte sich erneut etwas besser. Das mit dem Wörterbuch war eine gute Idee. Er würde seine wenigen mühsam gesparten Pfennige gern dafür ausgeben.
»Und was liegt dir noch auf dem Herzen?«, erkundigte sich der Lehrer.
Karl biss sich auf die Lippen. »Es geht mich eigentlich nichts an«, murmelte er. »Weil … ich kann ja gar kein Land erwerben …«
»Frag trotzdem!«, ermunterte der Lehrer.
»Ich … ich mach mir bloß etwas Sorgen …«
Tatsächlich rankten sich diese Sorgen um Ida, aber das würde er beim Lehrer natürlich nicht ansprechen. Karl schob seinen Becher von einer Hand in die andere.
»Nun sag schon, was dich quält!« Brakel lächelte. »Vielleicht kommst du ja doch noch mal zu Geld und planst dann einen Landerwerb – wobei ich mich da wenig auskenne, ich hab ja auch kein Land.« Das Schulhaus wurde dem Lehrer von der Gemeinde zur Verfügung gestellt. Es gehörte ihm nicht.
Karl fasste Mut. »Herr Lehrer, dieses Land, was da in Neuseeland urbar gemacht wird … Es ist viel, zwanzig Hektar für jeden … und es werden ja noch weitere Siedler kommen. Kann es sein, dass es wirklich niemandem gehört? Gibt es das? Hunderte von Hektar Land, die keinen Besitzer haben? Ich meine … natürlich mag es Urwald sein, aber hier in Mecklenburg haben wir auch noch dichte Wälder. Die könnte man roden und sich ansiedeln. Das darf man jedoch nicht, weil sie dem Fürsten gehören. Oder sonst irgendjemandem. Ich meine … Amerika …«
Karl sprach seine Bedenken nicht aus, schließlich konnte es sein, dass der Lehrer ihn scharf dafür rügen würde. Wenn er das, was man von der Besiedelung Amerikas hörte, allerdings richtig deutete, dann war es da doch wohl auch so gewesen, dass man Siedlern angeblich freies Land verkaufte. Bis die Indianer kamen und die Leute skalpierten … Hier hatte es zumindest Missverständnisse gegeben, wenn nicht gar Betrug.
Lehrer Brakel seufzte. »Tja, Karl, das weiß ich nicht«, erwiderte er dann. »Ich habe natürlich ein bisschen herumgefragt, aber sichere Angaben konnte mir da keiner machen, am allerwenigsten Jakob Lange. Es ist wohl so, dass es Eingeborene gibt in Neuseeland. Wie viele, das steht in den Sternen. Vielleicht sind es ja zu wenige, um das ganze Land zu besiedeln. Die Angaben widersprechen sich. Einmal heißt es, das Land, auf dem dieses Nelson erbaut wird, sei ganz jungfräulich und frei, und bevor die Engländer kamen, habe nie jemand die Hand darauf gelegt. Andererseits hat dieser Herr Beit von der Neuseelandkompanie auch einmal gesagt, man habe es den Eingeborenen abgekauft.«
»Den Wilden?«, fragte Karl zweifelnd.
Cook hatte von Menschenfressern in Polynesien berichtet, und die Indianer in Amerika pflegten ihre Opfer zu massakrieren. Karl hielt diese Völker nicht für besonders aufgeschlossene Verhandlungspartner.
»Ich weiß nicht, wie wild sie sind«, bemerkte Brakel. »Vielleicht sind sie ja ganz vernünftig. Und vielleicht hat man ihnen einen ordentlichen Preis für Ländereien gegeben, die sie selbst nicht brauchten.«
»Aber?«, warf Karl ein.
»Vielleicht hatten die Siedler auch nur die bessere Bewaffnung«, meinte der Lehrer schmallippig. »Vielleicht wurden diese Verhandlungen mit vorgehaltenen Musketen geführt. Man hört, die Engländer gingen nicht besonders vorsichtig mit den › Wilden ‹ um. Denk an die Negersklaven aus Afrika … Ich weiß es nicht, Karl. Das wirst du selbst herausfinden müssen. Ich rate dir auf jeden Fall, vorsichtig zu sein. Denn sosehr ich davon überzeugt bin, dass du das Richtige tust, und so innig ich dir alles Glück der Welt wünsche … Du kommst nicht in ein Paradies, Junge! Nichts auf dieser Welt ist ohne Arg, kein Weg ohne Steine. Vergiss das nicht, Karl! Geh mit offenem Herzen in das neue Land, aber auch mit offenen Augen!«
Karl Jensch verließ Raben Steinfeld im Morgengrauen des nächsten Tages. Er sagte niemandem Lebewohl, und der schon wieder fallende Schnee hatte seine Spuren verwischt, kaum dass er den Dorfausgang passiert hatte.
KAPITEL 4
Ida Lange wusste nicht,
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