Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Traum. Und an die Stelle der elenden Hütten der Walfänger und des Gestanks nach Tran und Verwesung traten die hübschen bunten Häuser der Maori, die aromatischen Gerüche aus dem Kochhaus und die Düfte der Heilpflanzen und Früchte, die Te Ronga sammelte und einkochte oder destillierte. Cat lernte weben und arbeitete auf den Feldern – und wenn die Ernte einmal nicht ausreichte, was vorkam, wenn es in einem Sommer zu viel oder zu wenig regnete, begleitete sie den Stamm im Frühjahr auf Wanderungen in bessere Jagdgebiete.
Mitunter wanderten die Ngati Toa auch im Sommer – meist weil die Geister Te Ronga oder einen der anderen Ältesten riefen. Dann bestiegen sie die Kanus, ruderten den Fluss hinauf, und die Reisen führten sie letztlich zu Heiligtümern, wo sie die Götter mit Gesang und Gebeten ehrten. Das konnten seltsam geformte Felsen, Vulkane oder glasklare Seen sein, aber manchmal auch einfach Orte, an denen irgendwann in der Vorzeit Blut vergossen worden war. Der Stamm gedachte der Toten, während der Wind über schier endloses Grasland wehte, man feierte jedoch auch die Tapferkeit der Sieger. Cat lernte bei diesen Wanderungen den gesamten nördlichen Teil der Südinsel Neuseelands kennen – des Landes, das die Maori Aotearoa nannten, große weiße Wolke.
Te Ronga erklärte ihr die Heilpflanzen und wie man sie erntete, die jungen Leute nahmen sie mit zum Fischfang und auf die Vogeljagd. Und manchmal trafen sie auf ihren Reisen andere Maori-Stämme – Bruderstämme der Ngati Toa, die man in ihren marae besuchte, oder Vertreter der verfeindeten Ngai Tahu. Dann gewann das traditionelle Begrüßungsritual, das powhiri , an Spannung, denn nun stellten die haka und Scheinkämpfe, mittels deren die Krieger ihre Kraft demonstrierten, ja kein Spiel mehr dar. Der andere Stamm sollte wirklich davon überzeugt werden, dass es besser war, die Ngati Toa unter ariki Te Rauparaha nicht anzugreifen. Bislang war das immer gelungen, der Häuptling war ein auf der gesamten Südinsel gefürchteter Krieger, und niemand legte sich gern mit ihm an. Letztlich hatten dann Te Ronga oder eine der tohunga des anderen Stammes beide iwi mit den Göttern verbunden, und am Ende stand ein gemeinsames Fest.
Auch dem Besuch der pakeha unter Captain Wakefield sah Cat nun gelassen entgegen. Einen Angriff befürchtete sie nicht, und was die Lüsternheit der Weißen anging, so schützten sie Te Ronga und eine halbe Armee muskelbepackter Maori-Krieger vor Kerlen wie Reverend Morton.
Cat lächelte in sich hinein, wenn sie an den Missionar zurückdachte – es war zu schön gewesen, den alten Lüstling vor den Maori fliehen zu sehen! Wie sie bei Carpenters nächstem Besuch erfuhr, hatte er sich in den zwei Tagen, die der Händler im Dorf verbracht hatte, hungrig und völlig verängstigt im Wald versteckt. Nicht mal den Bach hatte er gefunden – der Mann war auf das Leben in der Natur noch weniger vorbereitet gewesen als Cat. Und die Maori-Krieger hatten ihm derart Angst eingejagt, dass er ihr Volk ohne weitere Gewissensbisse dem Heidentum überließ. Zumindest gedachte er nicht mehr, die Stämme zum Zwecke der Missionierung selbst aufzusuchen. Carpenter hatte ihn in einer Missionsstation bei der Siedlung, die später Nelson hieß, abgesetzt.
Inzwischen wusste Cat allerdings auch, dass die Maori der Missionierung ohnehin nicht allzu offen gegenüberstanden. Sie hörten sich die Geschichten aus der Bibel zwar gern an, aber sie hatten ihre eigenen Götter und Halbgötter, sogar weibliche Gottheiten! Jeden Abend am Feuer erzählten die tohunga im whaikorero , der Kunst der schönen Rede, von ihren Taten und Abenteuern. Cat erfuhr dabei von Kupe, dem ersten Siedler auf Aotearoa. Er war von einer Insel namens Hawaiki gekommen, einem Land der Sehnsucht, in das die Seelen der Maori nach dem Tode zurückkehrten. Sie hörte von Papa und Rangi, der Erde und dem Himmel, die von ihren gemeinsamen Kindern getrennt werden mussten, um die Welt mit all ihren Schönheiten zu schaffen, und sie lauschte gebannt den Erlebnissen des Halbgottes Maui, eines starken, frechen jungen Kerls, der sogar dem Tod trotzte.
Obwohl sie dabei leichte Gewissensbisse verspürte, fand Cat das alles erheblich spannender als die biblischen Geschichten, die Frau Hempelmann ihr erzählt und die sie ihr dann später vorgelesen hatte. Die Maori redeten auch nicht dauernd von Sünden und beteten um Vergebung zu einem Gott, der niemals antwortete. Stattdessen schickten sie ihre
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