Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Lächelnd erstieg er gleich das erste Kanu.
KAPITEL 3
Vom Flussufer aus führte ein relativ breiter Weg aufwärts durch den Wald – aber schon nach wenigen Schritten erreichten die Männer die Einfriedung des Maori-Dorfes. Den Eingang bildete eine Art Torbogen, rot gestrichen und von breiten Stelen gesäumt, die wohl Götterstatuen darstellten. Diese hatten die Münder weit geöffnet und zeigten beeindruckende weiße Zähne, aber sie wirkten nicht wirklich bedrohlich. Das gesamte Tor war mit Schnitzereien verziert, und wenn man es durchschritt, führte der Weg auf einen von Gebäuden gesäumten Dorfplatz.
Karl musterte verblüfft die bunten, ebenfalls mit hübschen Schnitzarbeiten, Figuren und Ranken versehenen Holzhäuser. In Nelson war stets von einem Maori-Lager die Rede gewesen, und er hatte sich die Anlage so vorgestellt wie ein Indianerlager in Amerika. Das hatte er mal in einem Groschenheftchen abgebildet gesehen. Dass er nun in einem schmucken Dorf stand, dessen Häuser robuster und weit aufwendiger gebaut waren als die meisten Höfe in Raben Steinfeld und so ziemlich sämtliche Häuser in Nelson, konnte er kaum fassen. Natürlich war es eine exotische, befremdliche Kulisse, aber zu seiner Vorstellung von wilden, unzivilisierten Völkern passte sie nicht.
Die Bewohner des Dorfes hatten sich auf dem Dorfplatz versammelt, Karl schätzte etwa achtzig bis neunzig Menschen. Frauen und Kinder standen in der Mitte der Gruppe, gesäumt von alten Männern und Kriegern, Letztere bewaffnet. Eine Gruppe reich gekleideter Männer und Frauen – sie trugen Umhänge und breite Gürtel in prächtigen Webmustern und in bunteren Farben als die anderen sowie Schmuck aus Jade und Perlmutt – stand ein wenig abseits. Sie alle waren älter oder in mittleren Jahren. Nur ein junges Mädchen fiel in der Gruppe auf. Und nicht nur durch sein Alter!
»Ich glaub’s nicht, eine blonde Maori!«
Das war Christopher Fenroy. Auf Geheiß Te Puahas hatte er Captain Wakefield, Officer Thompson und die anderen Anführer der Weißen den Maori gegenüber platziert und ihrem Gefolge geheißen, sich neben und hinter sie zu setzen. Karl richtete seine Aufmerksamkeit nun auch auf die junge Frau. Tatsächlich sah sie völlig anders aus als die Einheimischen. Sie war vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt, zierlich, sehr schlank und hübsch – und nicht tätowiert! Das breite Haarband brachte ihre feinen, fast aristokratischen Züge zur Geltung, ihr Gesicht war gebräunt, eine zarte Farbe, die an goldfarbenen Honig denken ließ, aber von Natur aus unzweifelhaft hell. Karl konnte die Farbe ihrer Augen unter den fein geschwungenen Brauen nicht erkennen, doch das Haar war sattblond, eine frische, klare Farbe wie Getreide auf den Feldern. Die junge Frau trug Maori-Kleidung. Ihr Rock war länger als die Kleider der meisten anderen weiblichen Stammesmitglieder, konnte ihre langen gebräunten Beine jedoch nicht gänzlich verdecken.
Karls neuer Freund Fenroy starrte die blonde Frau an wie eine Erscheinung. »Das ist eine pakeha! «, raunte er Tuckett zu. Das Maori-Wort für Weiße war jedem in Neuseeland verständlich.
»Sie ist bildschön!« Der oberste Landvermesser lächelte. »Und jetzt machen Sie den Mund mal wieder zu, Fenroy, das ist ja peinlich. Wahrscheinlich die Tochter von irgendeiner Maori-Frau mit einem Weißen. Das kommt schließlich häufig vor …«
»Nur sind diese Mischlinge niemals blond! Jedenfalls nicht in der ersten Generation. Sie muss …«
Fenroy sprach aufgeregt weiter, doch dann unterbrach ihn ein lauter, von einer Frau ausgestoßener Ruf. Die Männer neben und hinter dem Übersetzer griffen erneut nervös nach den Musketen. Fenroy blieb nichts anderes übrig, als seine Aufmerksamkeit von der jungen Weißen abzuziehen und seine Mitstreiter erst mal zu beruhigen. Zumal sich jetzt auch noch ein Krieger aus der Gruppe der Maori löste und mit großen Gesten eine Rede untermalte. Dabei schwenkte er seine Waffen.
»Das ist nur die mihi , damit beginnt das Begrüßungsritual«, erklärte Fenroy. »Gleich wird getanzt. Also keine Panik.«
»Was er sagen?«, fragte Karl.
Etwas befangen, aber entschlossen nahm er direkt neben dem Übersetzer Platz. Er schien der Einzige zu sein, den die Rede des Mannes neugierig machte. Weder die Anführer noch die Siedler, darunter Ottfried, der sich ebenfalls in der ersten Reihe platziert hatte, interessierten sich für eine Übersetzung.
»Er heißt uns bei seinem Stamm willkommen«,
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