Die Zeit der Hundert Königreiche - 4
ist tot, und sein Regent auch. So ist die Sachlage. Valentine, Ardrins Sohn, ist noch ein Kind, und wir wollen hier keine Hastur-Marionetten haben. Wir sind bereit, Euren Anspruch auf den Thron zu unterstützen, Bard di Asturien.« Paul konnte nur stammeln: »Großer Gott!«
Es wäre schon bizarr genug gewesen, wenn der Oberste Ratgeber des Königreichs dem wirklichen Bard mac Fianna, Nedestro und (gesetzloser, dem die Krone angeboten hätte.
Unvorstellbar war es, daß er die Krone Paul Harrell anbot, dem Fremden, dem Rebellen, verurteilten Kriminellen und Mörder! Dem Flüchtling aus der Stasis-Zelle!
»Die Zeit drängt, Sir. Wir befinden uns im Krieg, und Ihr seid bei der Armee beliebt. Die Armee würde niemals ein Kind als König anerkennen, nicht im jetzigen Augenblick. Und Ihr seid der Lord General.«
Wo, zum Teufel, steckt Bard? dachte Paul wild. Mußte er in diesem wichtigen Moment abwesend sein?
»Wir müssen einen König haben, Sir. Wenn die Hasturs gegen uns ziehen, können wir nichts gegen sie unternehmen! Wir haben heute morgen gesehen, wie Ihr die Ordnung unter den Soldaten wiederherstelltet. Meiner Ansicht nach seid Ihr der einzige König, den das Volk akzeptieren wird.«
Finster sagte sich Paul, daß eine Ablehnung für ihn unmöglich war. Bard war verschwunden, niemand wußte, wohin, und jeder hier hielt ihn für Bard. Bard hatte oft genug gesagt, er wolle nicht König sein. Aber, so überlegte Paul, wenn Bard jetzt hier wäre, in den Trümmern der Burg, dann hätte er sich angesichts einer Armee ohne Führer und eines Landes ohne König ebenfalls der Notwendigkeit gebeugt. »Ich nehme an, ich habe keine andere Wahl.«
»Nein, Sir, die habt Ihr nicht. Es gibt tatsächlich keinen anderen, versteht Ihr.« Lord Kendral zögerte. »Noch etwas, Sir. Ihr seid einmal mit Ardrins jüngerer Tochter verlobt worden, aber Ardrins Linie ist zur Zeit nicht populär. Nicht seit Königin Ariel auf diese Weise davonrannte. Ihr werdet einen Erben designieren müssen, Sir, und da Ihr keine Brüder, keine lebenden Brüder habt, bleibt Euch nur, Euren Sohn zu legitimieren. Jeder weiß, wer seine Mutter ist. Es könnte sich sehr günstig auswirken, wenn Ihr Mistress MacAran heiratetet - Lady Melisandra meine ich natürlich, vai dom. Das würde der Armee gefallen.«
Und so wurde Paul Harrell, Rebell und zur Stasis-Zelle verurteilter Verbrecher, in dem unbeschädigt gebliebenen alten Audienzsaal bei Lampenlicht zum König gekrönt und di catenas mit Melisandra MacAran, Leronis, verheiratet. Zwei Gedanken hatten in Pauls Kopf die Vorherrschaft, als Meister Gareth ihre Hände über den rituellen Armbändern zusammenlegte und sprach: »Möget ihr für immer eins sein.«
Der eine war Dankbarkeit dafür, daß Erlend zu Bett gebracht worden war.
Der andere war wilde Neugier: Wo zum Teufel steckte Bard di Asturien, und was würde er sagen, wenn er entdeckte, daß sein Double sich auf den r Thron gesetzt … und ihm eine Königin beschert hatte!
8
Varzil brauchte fast den ganzen Tag dazu, jemanden zu finden, der sein Amt in Neskaya übernehmen konnte, und so reisten sie erst am nächsten Morgen nach Asturias ab. Melora hatte ihren Esel satteln lassen und warnte Bard lachend, sie reite heute nicht besser als vor Jahren auf diesem längst vergangenen Feldzug. Bard beobachtete sie und stellte fest, daß sie immer noch auf ihrem Esel hockte wie ein auf den Sattel geworfener Sack Mehl. Merkwürdig, Melisandra ritt gut und anmutig. Wie kam es nur, daß er niemals Interesse für Melisandra gehabt hatte, außer daß er ihren schönen Körper zu würdigen wußte! Vielleicht hat es eine Zeit gegeben, als es mir möglich gewesen wäre, Melisandra liebzugewinnen. Aber immer, wenn ich sie danach ansah, schämte ich mich, und ich wollte nicht erkennen, was ich ihr angetan hatte. Deshalb ertrug ich es nicht, sie anzusehen. Und war grausamer zu ihr als zuvor …
Ich habe jeden vernichtet, den ich liebte. Und ich habe mein eigenes Leben zerstört. Und ich darf nicht einmal sterben, weil es Dinge gibt, die ich tun muß. Bard ritt durch die frühherbstliche, frische Schönheit der Kilghardberge, aber seine Augen blickten nach innen auf ein ödes, wüstes Land, und im Mund hatte er den Geschmack von kalter Asche. Irgendwie mußte er die Situation in Asturias in Ordnung bringen. Es war ein Krieg zu gewinnen oder doch zumindest ein Friede zu schließen. Seit dem Brand von Hali, dachte Bard, herrschte keine große Begeisterung mehr dafür, die
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