Die Zeit der Hundert Königreiche - 4
verbleibenden Kriege unter den Hasturs oder anderswo fortzusetzen. Er hatte für einen Augenblick Mirellas und Varzils und Meloras Geist berührt, wenn sie über den Brand von Hali sprachen, und jetzt empfand er Übelkeit bei dem Gedanken an diese Art des Kampfes mit Haftfeuer oder dem Knochenwasserstaub, der in den Venzabergen ausgestreut worden war, wo Kinder an verdünntem Blut starben … Das war kein Krieg! Das war ein Alptraum. Bard entschloß sich, zumindest werde er seine Zauberer und Leroni entlassen. Und wenn sein Vater sich weigerte, dem Vertrag beizutreten, dann sollte er sich einen anderen Befehlshaber für seine Armee suchen. Er, Bard, hatte sich seinen Haferbrei auch früher schon als Söldner im Exil verdient. Er konnte es wieder tun.
Finster dachte er, wenn sein Vater unbedingt einen großen General wollte, der das ganze Land verheerte und alle Hundert Königreiche unter die Oberherrschaft von Asturias brachte, dann konnte er ja Paul herumbekommen, es für ihn zu tun.
Paul … Paul ist so ruchlos, wie ich es war. Wie ich es war, be vor… ihr Götter da oben, war das erst vorgestern abend? Ich habe das
Gefühl für die Zeit verloren. Mir scheint es, dieser Mann habe vor Jahrhunderten gelebt …
Paul sieht die Greuel der Laran-Kriegführung nicht einmal. Er ist immun gegen alle Schrecken, die in eines Mannes Gehirn und Geist und Seele dringen …
Er erkannte plötzlich, daß er bereit war, Paul zu töten. Nicht in der Art wie damals, als sie zusammen auf dem Feldzug waren und er sich sagte, sein dunkler Zwilling werde letzten Endes eine Bedrohung seiner eigenen Macht und Stellung bedeuten. Paul war der Mann, der er selbst bis vor einem oder zwei Tagen noch gewesen war. und jetzt war er bereit, Paul zu töten, um sein Volk vor der grausamen und ruchlosen Herrschaft des Mannes zu retten, der er gewesen war. Das würde Melisandra Schmerz bereiten, und er wollte vor dem letzten Schritt wirklich alles versuchen, um Paul zu überreden, daß er seinen Ehrgeiz aufgab. Aber Paul hatte nicht die Erfahrung gemacht, die ihm, Bard, zuteil geworden war, und Paul hatte nichts in sich, was diesem erbarmungslosen Ehrgeiz Einhalt gebieten konnte. Paul war immer noch fähig, wie Bard es früher gewesen war, alles und jeden niederzutrampeln - sogar Melisandra
um zu Macht und Ruhm zu gelangen.
Das weiß ich nicht sicher. Vielleicht habe ich Paul falsch beurteilt, wie ich auch sonst alles und jeden falsch beurteilt habe. Vielleicht nimmt er Vernunft an. Aber wenn er es nicht tut - ich will Melisandra nicht noch mehr Schmerz bereiten, aber ich werde auch nicht zulas sen, daß er weiter Böses tut. Zumindest muß ich ihn als Betrüger ent larven. Ich hätte den Befehl über die Armee nicht in seinen Händen lassen sollen - er kann unendliches Unheil anrichten.
Und dann kam ihm zu Bewußtsein, daß er und sein Vater sich ohne Grund in Pauls Leben eingemischt hatten, und alles, was Paul ihm dafür antat, nur gerechte Vergeltung war. Er war an den Ausgangspunkt zurückgekehrt, als er den ersten Blick auf das Gesicht seines dunklen Zwillings warf, und das Wissen mußte die ganze Zeit in ihm geschlummert haben:
… Es wird ein Tag kommen, (in dem ich ihn töten muß, oder er wird mich zuerst töten.
Sie folgten von Neskaya aus der Straße nach Westen, aber als die Straße nördlich nach Asturias abbog, erklärte Varzil düsteren Gesichts, sie müßten sie für einige Zeit verlassen und weiter in westlicher Richtung reiten.
»Melora ist noch im gebärfähigen Alter, und auch du, Bard, bist noch jung. Das Land ist verseucht. Jedes Kind, das einer von euch auch noch Jahre später in die Welt setzt, könnte zellentief geschädigt sein. Wir sind schon bedenklich nahe herangekommen - ich bin mir nicht einmal sicher, daß in Neskaya keine Gefahr besteht. Wir wissen längst nicht alles darüber, was das Zeug den Zellen antut. Die Gefahr von Neskaya müssen wir alle tragen, aber ich will euch beide nicht einem noch größeren Risiko aussetzen. In meinem Alter spielt es keine so große Rolle mehr. Ihr jedoch werdet wahrscheinlich eines Tages Kinder haben. Jeder mit seinem Partner, meine ich«, setzte er hinzu, und dann lachte er und hob die Hände, als wolle er sagen: So habe ich es nicht gemeint … Aber Bard blickte zu Melora hinüber und sah im hellen Morgenlicht ein Lächeln, so intim wie ein willkommenheißender Kuß, und es wärmte ihn trotz all des Todes in seinem Inneren. In seinem ganzen Leben war er noch nie auf den Gedanken
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