Die Zeit der hundert Königreiche
eifersüchtig bist, Beltran?«
»Nein«, antwortete Beltran nachdenklich. »Nein, ich glaube nicht, Pflegebruder.« Und nach einer Zeit, als er Beltrans ruhiges Atmen hörte, schlief Bard ein.
4
Am Morgen schneite es immer noch, und der Himmel war dunkel. Bard schwand der Mut, als er die Männer verdrossen ihrer Arbeit nachgehen sah, dem Versorgen der Pferde, dem Kochen eines großen Topfes Brei, dem Aufpacken und Satteln für den Weiterritt. Er hörte Gemurmel des Inhalts, König Ardrin habe kein Recht, sie im Winter hinauszusenden. Dieser Feldzug sei das Werk seines Pflegesohns, der keine Ahnung von Brauch und Sitte habe. Wer habe je von einer Unternehmung wie dieser gehört, wenn der Winter vor der Tür stand?
»Macht schon, Leute«, drängte Bard. »Wenn die Trockenstädter in diesem Wetter reiten können, sollen wir dann verzagen und es zulassen, daß sie das Haftfeuer ins Land bringen, das gegen unsere Dörfer und unsere Familien geschleudert werden soll?«
»Trockenstädtern ist alles zuzutrauen«, brummte einer der Männer. »Als nächstes werden sie im Frühling die Ernte einfahren! Krieg ist ein Geschäft für den Sommer!«
»Und weil sie glauben, wir werden gemütlich zu Hause bleiben, halten sie es für ungefährlich, zuzuschlagen«, wandte Bard ein. »Wollt ihr zu Hause bleiben und sie angreifen lassen?«
»Ja, Warum sollen wir es nicht tun und sie zu uns kommen lassen? Die Verteidigung unserer Heime gegen einen Angriff ist etwas ganz anderes, als hinauszuziehen und nach Mühsal geradezu zu suchen!« begehrte ein stämmiger Veteran auf.
Aber obwohl viel gemurrt und gebrummt wurde, gab es doch keine Widersetzlichkeit oder offene Meuterei. Beltran war blaß und still. Bard dachte an ihr Gespräch in der vergangenen Nacht und sagte sich, daß der Junge Angst hatte. Es war leicht, in Beltran den Jüngeren zu sehen, obwohl in Wahrheit nur ein halbes Jahr zwischen ihnen lag. Bard war immer soviel größer als seine Pflegebrüder gewesen, immer der Stärkste, der Beste beim Schwertkampf und Ringen und Jagen, ihr unbezweifelter Anführer.
Deshalb suchte er eine Gelegenheit, mit Beltran über seine Besorgnis zu sprechen, die Männer könnten meutern, und ihn zu bitten, zwischen ihnen zu reiten und festzustellen, in welcher Stimmung sie sich befanden.
»Du bist ihr Prinz, und du repräsentierst den Willen ihres Königs. Es mag ein Zeitpunkt kommen, zu dem sie mir nicht mehr gehorchen werden, aber sie werden nicht bereit sein, sich dem eigenen Sohn ihres Königs zu widersetzen«, redete er ihm schuldbewußt ein. Beltran blickte mit brummigem Gesicht zu Bard auf. Sollte er seinerseits Befehle von Bard annehmen? Aber schließlich nickte er und ließ sich von der Spitze zurückfallen, um neben dem einen und anderen der Männer herzureiten, ihnen Fragen zu stellen und mit ihnen zu sprechen. Bard beobachtete ihn und dachte, über dieser Aufgabe habe Beltran vielleicht seine Ängste vergessen – und die aufrührerische Stimmung unter den Männern werde sich angesichts der mitfühlenden Teilnahme ihres Prinzen vielleicht legen.
Und immer noch fiel Schnee. Er reichte jetzt bis zu den Sprunggelenken der Pferde, und allmählich machte Bard sich ernste Sorgen, ob die Tiere durchkommen würden. Er bat Meister Gareth, den Kundschaftervogel auszusenden, erhielt jedoch die schon halbwegs erwartete Antwort, in solchem Wetter werde er nicht aufsteigen.
»Vernünftiges Tier«, brummte Bard. »Ich wünschte, ich könnte es ihm gleichtun! Doch gibt es eine andere Möglichkeit herauszufinden, wie weit die Karawane von uns entfernt ist und ob wir sie heute noch treffen werden?«
Meister Gareth antwortete: »Ich werde Mirella fragen. Aus diesem Grund ist sie ja bei uns, daß sie das Gesicht benutzt.«
Bard blickte zu Mirella hin. Im rieselnden Schnee saß sie auf ihrem Pferd. Durch die dick beschneiten Zöpfe leuchtete die Kupferfarbe ihres Haares. Sie starrte in ihren Kristall. Bläuliches Licht spiegelte sich auf ihrem Gesicht wider. Das einzige Licht an diesem scheußlich trüben Tag schienen der blaue Stein und die Flamme ihres kupfrigen Haars zu sein. Sie war mit Mantel und Schals verhüllt, aber diese konnten die schlanke Anmut ihres Körpers nicht verstecken. Wieder einmal ertappte Bard sich dabei, daß seine Gedanken bei ihrer Schönheit verweilten. Zweifellos war sie das schönste junge Mädchen, das er je gesehen hatte. Verglichen mit ihr war Carlina ein blasser Stock. Doch Mirella war völlig außerhalb
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