Die Zeit der Verachtung
entzündet, beide bluteten immer noch, aus beiden floss zusammen mit dem Blut klebriger, widerlich riechender Eiter.
Das Ungeheuer war giftig gewesen.
Tags darauf war es noch schlimmer. Das Einhorn konnte kaum gehen. Am Abend legte es sich auf die Steine und wollte nicht mehr aufstehen. Als sie sich neben ihm hinkniete, berührte es den verwundeten Schenkel mit Nüstern und Horn, wieherte. In diesem Wiehern lag Schmerz.
Der Eiter lief immer stärker, der Geruch war abstoßend. Ciri holte den Dolch hervor. Das Einhorn schrie mit dünner Stimme, versuchte aufzustehen, stürzte mit dem Hinterteil auf die Steine.
»Ich weiß nicht, was ich machen soll ...«, schluchzte sie und schaute auf die Klinge. »Ich weiß es wirklich nicht ... Sicherlich muss man die Wunde aufschneiden, Eiter und Gift herausdrücken ... Aber ich kann das nicht! Womöglich verletze ich dich noch schlimmer!«
Das Einhorn versuchte den Kopf zu heben, wieherte. Ciri setzte sich auf die Steine, hielt sich den Kopf mit den Händen.
»Zu heilen hat man mir nicht beigebracht«, sagte sie bitter. »Sie haben mir beigebracht zu töten und mir erklärt, dass ich auf diese Weise Leben retten kann. Das war eine große Lüge, Pferdchen. Sie haben mich belogen.«
Die Nacht brach herein, es wurde rasch dunkel. Das Einhorn lag da, Ciri überlegte fieberhaft. Sie sammelte Kraut und Stengel, die am Ufer des ausgetrockneten Flusses reichlich wuchsen, doch Pferdchen wollte nichts essen. Den Kopf hatte es kraftlos auf die Steine gelegt, versuchte nicht mehr, ihn zu heben. Es blinzelte nur mit den Augen. In seiner Schnauze erschien Schaum.
»Ich kann dir nicht helfen, Pferdchen«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Ich habe nichts ...«
Außer der Magie.
Ich bin Zauberin.
Sie stand auf, streckte die Hände aus. Nichts. Sie brauchte viel magische Energie, doch es gab keine Spur davon. Das hatte sie nicht erwartet, sie war überrascht. Wasseradern gibt es doch überall. Sie tat ein paar Schritte in die eine, dann in die andere Richtung. Sie begann im Kreis zu gehen. Sie ging zurück.
Nichts.
»Du verfluchte Wüste!«, schrie sie und ballte die Fäuste. »In dir gibt es nichts! Weder Wasser noch Magie! Dabei sollte Magie doch überall sein! Das war auch gelogen! Alle haben mich belogen, alle!«
Das Einhorn wieherte.
Magie ist überall. Sie ist im Wasser, in der Erde, in der Luft ...
Und im Feuer.
Ciri hieb sich wütend mit der Faust an die Stirn. Das war ihr zuvor nicht eingefallen, vielleicht, weil es dort zwischen den kahlen Steinen nicht einmal etwas zu verbrennen gegeben hatte. Doch jetzt hatte sie trockenes Kraut und Stengel zur Hand, und um einen winzigen Funken zu erzeugen, sollte das bisschen Energie ausreichen, das sie noch in sich fühlte ...
Sie sammelte mehr Stengel, legte sie zu einem Haufen zusammen, ringsum trockenes Kraut. Vorsichtig streckte sie die Hand aus.
»Aenye!«
Der Haufen wurde heller, eine Flamme begann zu flackern, wurde stärker, erfasste die Blätter, verzehrte sie, schoss nach oben. Ciri warf noch mehr Stengel hinein.
Was jetzt, dachte sie, während sie die lebhafter werdende Flamme betrachtete. Schöpfen? Wie? Yennefer hatte ihr verboten, die Energie des Feuers anzurühren ... Aber mir bleibt keine Wahl! Und keine Zeit! Ich muss handeln! Die Stengel und Blätter verbrennen schnell ... Das Feuer wird erlöschen ... Das Feuer ... Wie schön es ist, wie warm ...
Sie wusste nicht, wann und wie es geschah. Sie schaute ins Feuer und spürte plötzlich einen Druck in den Schläfen. Sie fasste sich an die Brust, hatte das Gefühl, die Rippen würden ihr bersten. Im Unterbauch, im Schritt und in den Brustwarzen begann ein Schmerz zu hämmern, der sich augenblicklich in entsetzliche Lust verwandelte. Sie stand auf. Nein, sie stand nicht auf. Sie schoss empor.
Die
Kraft
erfüllte sie wie geschmolzenes Blei. Die Sterne am Himmel begannen zu tanzen, als spiegelten sie sich auf der Oberfläche eines Teiches. Der im Westen flammende Stern, den sie Auge genannt hatte, explodierte in Helligkeit. Sie nahm diese Helligkeit und zusammen mit ihr die
Kraft
.
»Hael, Aenye!«
Das Einhorn wieherte wild und versuchte aufzustehen, stützte sich auf die Vorderhufe. Ciris Hand hob sich von selbst, formte von selbst eine Geste, der Mund rief von selbst den Spruch. Aus den Fingern strömte eine sprühende, wogende Helligkeit. Das Feuer loderte fauchend auf.
Die aus ihrer Hand hervorbrechenden
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