Die Zeit der Verachtung
kurz darauf auf das nächste Echsengelege hin.
Wie sich erwies, war das eine durchaus zuträgliche Zusammenarbeit.
Sie gingen weiter.
Die Bergkette kam immer näher.
Als die tiefe Nacht hereinbrach, machte das Einhorn halt. Es schlief im Stehen. Ciri, die sich mit Pferden auskannte, versuchte es zunächst zu bewegen, sich hinzulegen – sie konnte versuchen, auf ihm zu schlafen und von seiner Wärme zu profitieren. Daraus wurde nichts. Pferdchen schmollte und ging weg, blieb immer auf Abstand. Überhaupt wollte sich das Einhorn nicht auf klassische Weise verhalten, wie in den gelehrten Büchern beschrieben – es dachte offensichtlich nicht daran, ihr den Kopf auf den Schoß zu legen. Ciri war voller Zweifel. Sie schloss nicht aus, dass die Bücher in Bezug auf Einhörner und Jungfrauen logen, doch es gab auch eine andere Möglichkeit. Das Einhorn war unverkennbar ein Einhornfohlen, und als Jungtier hatte es vielleicht keinen blassen Schimmer von Jungfrauen. Die Möglichkeit, dass Pferdchen imstande wäre, die paar seltsamen Träume, die sie einst hatte, wahr- und ernstzunehmen, verwarf sie. Wer nahm denn Träume ernst?
Es enttäuschte sie ein wenig. Sie wanderten zwei Tage und zwei Nächte, und das Einhorn fand kein Wasser, obwohl es welches suchte. Ein paarmal blieb es stehen, wandte den Kopf mit dem Horn hin und her, dann trabte es, drang in Felsspalten ein, scharrte mit den Hufen im Sand. Es fand Ameisen, es fand Ameiseneier und Larven. Es fand ein Echsengelege. Es fand eine bunte Schlange, die es geschickt tottrat. Doch Wasser fand es nicht.
Ciri bemerkte, dass das Einhorn Bögen schlug, keine gerade Marschrichtung einhielt. Ihr kam der begründete Verdacht, das Geschöpf lebe keineswegs in der Wüste. Sondern habe sich einfach darin verirrt.
Wie sie selbst.
Die Ameisen, die sie immer häufiger fanden, enthielten eine saure Flüssigkeit, doch Ciri dachte immer ernsthafter daran, zu der Quelle zurückzukehren. Wenn sie noch weiter gingen und kein Wasser fänden, würden die Kräfte zur Umkehr vielleicht nicht ausreichen. Denn die Hitze war schrecklich, der Marsch zehrte an den Kräften.
Sie wollte schon beginnen, das dem Einhorn verständlich zu machen, als es plötzlich anhaltend wieherte, mit dem Schwanz wedelte und im Galopp hinab zwischen gezackte Felsen lief. Ciri folgte ihm und aß unterwegs Hinterleiber von Ameisen.
Einen großen Bereich zwischen den Felsen nahm eine breite Sandpfanne ein, und in ihrer Mitte war eine deutliche Vertiefung zu sehen.
»Ha!«, freute sich Ciri. »Bist ein kluges Pferdchen, Pferdchen. Du hast wieder eine Quelle gefunden. Dort unten muss es Wasser geben!«
Das Einhorn schnaubte anhaltend und umkreiste die Vertiefung in leichtem Trab. Ciri ging näher heran. Die Vertiefung war groß, sie maß mindestens zwanzig Fuß im Durchmesser. Sie war exakt und gleichmäßig kreisförmig und erinnerte an einen Trichter, so regelmäßig, als habe jemand ein riesiges Ei im Sande abgedrückt. Plötzlich begriff Ciri, dass so eine regelmäßige Form nicht von selbst entstehen konnte. Doch es war schon zu spät.
Am Grunde des Trichters bewegte sich etwas, und Ciri schlug ein heftiger Hagel von Sand und Kies ins Gesicht. Sie sprang zurück, fiel hin und stellte fest, dass sie abwärts rutschte. Die heraufschießenden Kiesfontänen trafen nicht nur sie – sie trafen den Rand des Trichters, und der Rand sackte in Wellen ab und zog sie mit hinab. Sie schrie auf, ließ wie ein Schwimmer die Arme kreisen und versuchte vergebens, einen Halt für die Füße zu finden. Sofort wurde ihr klar, dass heftige Bewegungen alles nur noch schlimmer machten, den Sand stärker rutschen ließen. Sie drehte sich auf den Rücken, stemmte die Fersen fest in den Boden und breitete die Arme aus. Der Sand am Grunde bewegte sich und wogte, sie sah die daraus hervorkommenden braunen, hakenbewehrten Scheren, eine gute halbe Elle lang. Abermals schrie sie, diesmal viel lauter.
Der Kieshagel hörte plötzlich auf, auf sie einzuschlagen, und traf auf den gegenüberliegenden Rand des Trichters. Das Einhorn bäumte sich auf, der Rand brach unter ihm ab. Es versuchte, sich aus dem Treibsand zu befreien, doch vergebens – es versank immer tiefer darin und rutschte immer schneller zum Grunde hin. Die schrecklichen Scheren begannen heftig auf- und zuzugehen. Das Einhorn wieherte verzweifelt, warf sich hin und her, schlug ohnmächtig mit den Vorderhufen auf den hinabgleitenden Sand ein. Seine Hinterbeine
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