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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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auf, wieherte, kam im Schritt auf sie zu.
    »Ich würde mir gern deine Wunde ansehen, Pferdchen.«
    Pferdchen wieherte und schüttelte den gehörnten Kopf.
    »Dann eben nicht. Wenn du gehen kannst, lass uns gehen. Wir sollten lieber nicht hierbleiben.«
     
    Wenig später erschien auf ihrem Weg die nächste ausgedehnte Sandpfanne, die bis zu den sie begrenzenden Felsen mit in den Sand gegrabenen Trichtern übersät war. Ciri betrachtete sie entsetzt – manche Trichter waren mindestens doppelt so groß wie der, in dem sie unlängst um ihr Leben gekämpft hatten.
    Sie wagten es nicht, die Sandpfanne zu überqueren, indem sie zwischen den Trichtern lavierten. Zwar war Ciri überzeugt, dass die Trichter Fallen für unvorsichtige Opfer und die darin sitzenden Monster mit den langen Scheren nur für Wesen gefährlich waren, die hineinfielen. Wenn man Vorsicht übte und sich von den Vertiefungen fernhielt, konnte man die Sandfläche überqueren, ohne Angst zu haben, eins der Ungeheuer könne aus dem Trichter klettern und Jagd auf einen machen. Sie war sich sicher, dass kein Risiko bestand – doch sie wollte lieber nicht die Probe aufs Exempel machen. Das Einhorn war sichtlich ähnlicher Meinung – es wieherte, schnaubte und lief fort, zog sie von der Sandpfanne weg. Sie legten ein gutes Stück Weges zurück, indem sie das gefährliche Terrain in weitem Bogen umgingen, sich bei den Felsen und auf festem steinigem Grund hielten, durch den keine der Bestien sich durchzugraben imstande wäre.
    Unterwegs wandte Ciri kein Auge von den Trichtern. Ein paarmal sah sie, wie aus den mörderischen Fallen Fontänen von Sand emporschossen – die Ungeheuer vertieften und erneuerten ihre Wohnsitze. Manche Trichter lagen so dicht beeinander, dass der von einem Monster herausgeworfene Kies in andere Vertiefungen fiel, die am Boden verborgenen Geschöpfe alarmierte, und dann begann eine furchteinflößende Kanonade, eine Weile lang pfiff und prasselte der Sand umher wie Hagel.
    Ciri fragte sich, worauf die Sandungeheuer in der wasserlosen und toten Einöde Jagd machten. Die Antwort stellte sich von selbst ein – aus einer der nächsten Vertiefungen kam in hohem Bogen ein dunkler Gegenstand geflogen, der unweit von ihnen zu Boden fiel. Nach kurzem Zögern ging sie von den Felsen herunter auf den Sand. Was aus dem Trichter geflogen war, erwies sich als die Leiche eines Nagetiers, das an ein Kaninchen erinnerte. Zumindest, was das Fell anging. Denn der Kadaver war zusammengekrümmt, hart und trocken wie Werg, leicht und leer wie eine Blase. Es war kein einziger Tropfen Blut darin. Ciri schauderte – sie wusste nun, worauf die Scheusale Jagd machten und wie sie sich ernährten.
    Das Einhorn wieherte warnend. Ciri blickte auf. In der nächsten Umgebung gab es keine Trichter, der Sand war eben und glatt. Doch vor ihren Augen wallte dieser ebene und glatte Sand plötzlich auf, und die unruhige Stelle bewegte sich schnell auf sie zu. Sie warf den ausgesaugten Balg fort und lief rasch zu den Felsen.
    Die Entscheidung, die Sandpfanne zu meiden, hatte sich als sehr richtig erwiesen.
    Sie gingen weiter, umgingen sogar die kleinste Sandfläche, hielten sich ausschließlich auf festem Boden.
    Das Einhorn ging langsam, stolperte dabei. Aus seinem verletzten Schenkel floss immer noch Blut. Doch nach wie vor erlaubte es ihr nicht, näher zu kommen und die Wunde zu untersuchen.
     
    Die Sandpfanne wurde wesentlich schmaler und begann sich zu winden. Der feine und lockere Sand wich grobem Kies, dann Geröll. Trichter hatten sie schon lange nicht mehr gesehen, also beschlossen sie, auf dem durch die Sandpfanne vorgezeichneten Weg zu gehen. Obwohl sie erneut von Durst und Hunger gequält wurde, begann Ciri, sich schneller zu bewegen. Es gab Hoffnung. Die steinige Sandpfanne war gar keine. Es war das Bett eines Flusses, der von den Bergen her kam. In dem Flussbett war kein Wasser, doch es führte zu den Quellen – die zu schwach und zu unergiebig waren, um das Bett zu füllen, aber gewiss ausreichten, um sich sattzutrinken.
    Sie ging schneller, musste ihren Schritt jedoch wieder verlangsamen. Denn das Einhorn bewegte sich immer schwerfälliger. Es ging mit sichtlicher Mühe, stolperte, zog ein Bein nach, stellte den Huf schräg. Als es Abend wurde, legte es sich hin. Es stand nicht auf, als sie herantrat. Es erlaubte ihr, sich seine Wunde anzusehen. Es waren zwei Wunden, beiderseits des stark geschwollenen, heißen Schenkels. Beide Wunden waren

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