Die Zeit des Boesen
kennt noch niemand! Aber ich kam, um sie zu finden - und ich schwöre Euch, auch wenn Ihr es durch Euer Verhalten nicht verdient habt, ich werde sie ans Licht zerren!«
*
Der Hautsack wurde um so voluminöser, je mehr er dem Ziegenschoß entglitt, der sich wie eine klaffende Wunde geteilt hatte!
Hieronymus Neruda erschrak nicht nur der ihm unfaßbaren Größe des hervordrängenden Neugeborenen wegen, sondern auch angesichts der Umstände, die diesen Akt begleiteten.
Es war nicht die erste Niederkunft eines Tieres, der er beiwohnte, aber solche Gerüche, solche Laute, die nicht aus dem Maul des Muttertiers kommen konnten (aber woher dann - etwa schon von jenseits der grauen Hülle, die das in die Welt gesetzte neue Leben enthielt?), hatte er noch niemals zuvor bemerkt.
Selbst das Licht im Stall schien sich zu verändern. Das Licht, das nicht mehr nur der mitgebrachten Lampe entströmte, sondern außerdem - und absonderlich fremd - ein Abglanz der feucht-geschmeidigen, zum Bersten prallen Hülle war, die ins Heu entlassen wurde!
Normalerweise bereitete Neruda einen Bottich mit heißem Wasser und Leinentücher vor, aber hier verlief alles dermaßen überfallartig und irgendwie . monströs, daß er seine Gedanken kaum zu ordnen vermochte.
Eine ganze Weile folgte sein Körper nur blind den einstudierten Reflexen. Seine Hände packten zu und versuchten dem völlig überforderten Muttertier zu helfen, das die Schwere seiner Aufgabe mit geradezu unnatürlicher Demut ertrug. Zugleich aber wurde dadurch die Abnormität des Geschehens auf die Spitze getrieben: Kein Laut löste sich aus der Kehle des Muttertieres, und kurzzeitig glaubte Neruda, es sei bereits an einer Überanstrengung des Herzens gestorben.
Doch dann fand sein Blick wieder die Augen der Ziege - was für Augen, o Gott! -, die Neruda anschauten, als würde durch seine bloße Nähe und Gegenwart alles gut. Als vertrauten sie seinem Geschick, dies alles zu einem verträglichen Ende zu bringen .
Aber die Hülle schwoll immer noch an!
Und Neruda hatte nun das durch nichts mehr belegbare Gefühl, daß sie außerhalb des Ziegenbauchs größere Dimension erlangte, als es innerhalb überhaupt möglich gewesen wäre. Der graue »Sack« war jetzt schon ebenso groß wie das komplette Muttertier, und er hörte immer noch nicht auf, sich aufzublähen .!
Ein Unding.
Ein .
Hieronymus Neruda suchte nach Worten, und er suchte auch, verzweifelt, nach einem Ausweg! Irgendwo in seinem Hirn, in einem sehr entlegenen Winkel, war die Angst erwacht. Lähmend kaltes Entsetzen, wie eine sich auf der Haut niederschlagende Kruste aus Eis - ein unbeweglicher Panzer!
Neruda, neben Muttertier und . ja, was eigentlich? . kniend, wurde plötzlich von einer ungeheuer starken Vision überrannt.
Eine Vision von bedrückender Schärfe, in der er nicht nur seine eigene kleine, private, sondern die Welt insgesamt in Not und Tod versinken sah!
Ich muß es verhindern! durchzuckte es ihn in düsterer Klammheit. Er wußte nun, daß hier kein unschuldiges Zicklein ins Leben geworfen wurde, sondern etwas, DAS NIE UNTER DIE MENSCHEN KOMMEN DURFTE!
Er versuchte die Kälte, die ihn fesselte und seine Lippen knebelte, von sich zu schütteln.
Die Lampe stand in Armnähe auf einem Schemel. Ihr in Petroleum getränkter Docht brannte .
Während es vor Hieronymus Neruda fauchend atmete und pulsierte und die Membran, die den Inhalt der Hülle von der Außenwelt trennte, immer dünner, immer durchscheinender wurde, während all dies einem schauerlichen Höhepunkt entgegentrieb, sammelte der Protestant alle Kräfte, alle Konzentration, um die Nacht, die sich in ihm ausbreitete, noch einmal zurückzuschlagen. Noch einmal die Gewalt über den eigenen Körper zurückzuerobern!
Er sprengte das ihn lähmende Korsett!
Mit einem dumpfen Aufschrei schwenkte er die ausgestreckten Arme dorthin, wo die Lampe stand, bekam sie zu fassen, zog den Stopfen vom Einfüllstutzen und schüttete den Petroleum über das zuckende Etwas, das sich beim Aufprall der Feuchtigkeit noch heftiger zu krümmen und zu winden schien.
Hieronymus Neruda verlor keine Zeit. Kaum war der Großteil des Petroleums ausgelaufen, zerschlug er die Glashülse, die die Flamme vor Zugluft schützte, mit der freien Faust und stieß den immer noch brennenden Docht wie eine Waffe gegen das sich einmal weitende, dann wieder zusammenziehende Gebilde, das augenblicklich von einem flirrenden und knisternden Hitzepolster umschlossen wurde.
Überall,
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