Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
daheim sein kann. Und, hey, es wird Winter. Der kann in Leipzig hart sein. Wenn ihr nicht nach Hause zurückwollt, könnt ihr bestimmt da unterkommen. Eine Mädchen- WG , ein sicheres Dach über dem Kopf. Das ist doch besser als auf Platte, oder nicht?«
Das klang verlockend. Mein Magen knurrte. Wie lang hatte ich nichts Vernünftiges mehr gegessen? Schwarte redete immer noch, erzählte irgendetwas von einem Herrn Kugler, der mit seiner sozialen Ader Ausreißerinnen wie uns eine große Chance bieten könne. »Der meint das total ernst … richtig gut … und wenn ihr wollt, dann besorgt der euch auch einen Job. Dann müsst ihr nicht mehr in Läden Klamotten abgreifen, dann könnt ihr die einfach so bezahlen …«
Woher wusste der eigentlich …? Egal, das klang gut, das klang richtig gut.
Ich blickte zu Markus. Der kannte Schwarte schon länger, zuckte mit den Schultern und sagte: »Ich kenn den Kugler nicht, aber es wird schon passen.«
»… also, wenn ihr wollt …«
Ich hatte den Faden verloren, das Bier auf nüchternen Magen.
»… dann kann ich gerne … liegt ganz bei euch.«
Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Lea nickte.
»Gut, dann … Hey, ist die richtige Entscheidung! Bei dem Wetter jagt man keinen Hund auf die Straße. Ich mach das klar, ist das Beste für euch zwei. Ich hol euch ab!«
Damit stand er auf und verschwand.
Einige Stunden später holte Schwarte uns wie versprochen ab.
Mit dem Auto fuhren wir in die Merseburger Straße. Der Wagen hielt vor der Hausnummer 115. Ein Altbau, grau in grau, davor eine Litfaßsäule mit Werbeplakaten und eine knallgelbe Telefonzelle. Schwarte meinte, wir müssten noch einen Augenblick warten, Kugler käme gleich, um uns hereinzulassen.
Tatsächlich fuhr nach einer Weile ein Wagen vor, ein schwarzer Mercedes mit abgedunkelten Scheiben. Wir waren beeindruckt. Das Auto hielt mit aufheulendem Motor auf dem Seitenstreifen. Heraus stieg ein großer, kräftiger Mann mit kurzem Haar, einer schwarzen Lederjacke und Jeans. Wow. Ein cooler Typ. Er gab uns die Hand, stellte sich vor und lud uns ein, mit nach oben zu kommen. Damit wir uns etwas besser kennenlernen konnten, bevor er uns in seine WG aufnahm. Klar, er musste ja sehen, ob wir zu den anderen Mädels passten. Einer, der einem eine Chance gab – das fand ich gut! Wir gingen durch die große, schwere Doppeltür aus dunklem Holz in einen kleinen Durchgangshof. Von dort ging es weiter zum Hinterhaus und über eine Treppe nach oben. Es war kühl, und unsere Schritte hallten nach oben. Ich dachte mir noch, wie schön das Treppengeländer in diesem ansonsten eher unscheinbaren Haus war, mit gedrechselten Stäben und einem perfekt geschwungenen Handlauf versehen. Das hätte Papa gefallen.
Der Eingang zur Wohnung befand sich vom Treppenhaus gesehen auf der rechten Seite; an der grauen Flügeltür hing ein schlichtes Schild mit dem Schriftzug »Jasmin«.
Kugler nickte uns verschwörerisch zu, dann öffnete er die Tür.
Böses Erwachen
Unbewusst der dunklen Tage
Unbewusst kommender Qual
Bis heute ich Dämonen jage
Denn sie ließen mich nie los
Wir traten in einen Flur mit Garderobe, rechts ging es ins Bad, am Ende des Flurs in die Küche. Die Wohnung wirkte auf den ersten Blick sehr gemütlich und war aus meiner Sicht eher modern eingerichtet. Ein Altbau, aber keine verstaubten Oma-Möbel. Das Wohnzimmer auf der linken Seite betrat man durch einen bunten Kugelvorhang, dahinter öffnete sich ein quadratischer Raum mit zwei Fenstern, vor denen roséfarbene Rollos hingen. Rechts an der Wand stand eine große, pyramidenförmige Vitrine aus schwarzem Holz mit allerlei Nippes. Davor befand sich eine pastellfarbene Sitzgruppe mit Couchtisch. Nett, wie ich fand.
Kugler forderte uns auf, Platz zu nehmen. Lea und ich verschwanden fast in dem plüschigen Sofa. Schön weich war es, irgendwie kuschelig. Als Nächstes stellte er uns unsere neuen Mitbewohnerinnen vor: »Alles Mädels wie ihr, die hier ein neues Zuhause gefunden haben. Die ich von der Straße aufgelesen habe!«
An diesem Abend wurden uns Trixi, Jasmin und Ines vorgestellt. Jasmin war die Älteste, sie musterte uns kritisch, wirkte aber ganz sympathisch. Trixi und Ines schienen in unserem Alter, auch sie wirkten nicht gerade begeistert über den WG -Zuwachs. Vor allem Trixi reagierte zurückhaltend und etwas arrogant. Aber Kugler ließ sich nicht beirren und verwies sie nach diesem etwas kühlen Empfang aus dem Raum. »Heute geht es um euch, erzählt
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