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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Kopp
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wohl, du bist besonders schlau, was? Der Chef ist ja nicht doof. Der wird dir schon Bescheid stoßen, wie das hier läuft.«
    An einem Abend zitierte mich »der Chef« zu sich. »Mandy, was ist denn los mit dir? Ich kann gar nicht glauben, dass keiner dich haben will. So wie du aussiehst! Na, komm mal her zu mir.« Er zog mich auf seinen Schoß. »Du hast ja keine Ahnung, was da draußen los ist. Wenn du wüsstest, wie gut du es bei mir hast. Also, ich könnte dir da Sachen erzählen, wie andere ihre Mädels auf Spur bringen …«
    Ich fing an zu heulen und sagte wie eine kaputte Schallplatte immer wieder: »Ich kann das einfach nicht, ich kann es nicht, es ist so …«
    Mag sein, dass ich auf Verständnis gehofft hatte, auf eine Absolution von Kuglers Gnaden. Auf den Satz: Dann machst du eben den Haushalt, ist schon in Ordnung. Aber genau wie am ersten Tag legte er von einer Minute zur anderen seine Maske ab. Seine Stimme wurde schneidend kalt. »Dann wirst du es lernen!«
    Ich war vollkommen unvorbereitet, als er mich in den Sitz drückte, seine Hose öffnete und mir sein Glied so heftig in den Mund stieß, dass ich keine Luft mehr bekam und mir der Inhalt meines Magens in die Nase schwappte.
    »Das hast du ganz allein dir zuzuschreiben, dir allein! Die anderen Mädchen haben das schneller begriffen.«
    Während der ersten Zeit im Jasmin zwang er mich immer wieder zu sexuellen Handlungen, er vergewaltigte mich, demütigte und schlug mich, wann immer er es für »angebracht« hielt. Wie ein störrisches Stück Vieh, bei dem kein gutes Zureden mehr half, sondern nur noch Gewalt. Irgendwann hörte ich auf, die Schläge zu zählen. Sie verschwanden hinter einem Schleier aus Taubheit und innerer Leere. Hinter einer Wand, die dicker wurde, je länger es dauerte. Am Anfang war diese Wand aus nicht viel mehr als aus Japanpapier, durchscheinend, mit einem Hieb zu durchdringen. Das Schwein konnte mich sehen, meine Angst, das eingesunkene Häuflein Ich dahinter. Später hatte ich eine Betonmauer um mich herumgezogen, durch die er nicht mehr durchkam. An der er sich die Fäuste blutig schlug. Aus der ich aber auch nicht mehr herauskam. Mein Köper war die Mauer, an der mit der Zeit alles abprallte. Ein Stück Fleisch, mehr nicht.
    Kugler sagte hinterher: »Mädchen, die nicht funktionieren, kosten nur Geld und werden beseitigt.«
    Ich wollte gar nicht wissen, was er damit meinte. Aber der Satz hängt mir bis heute nach. Ein Stück Fleisch. Wenn es den Kunden nicht schmeckte, weg damit. Irgendwo in den Graben, merkt ja keiner. Zwei der Mädchen waren stadtbekannte Ausreißer , wie es später in der Presse hieß – tragisch irgendwie, aber was will man da schon erwarten? Der Weg war ja doch vorgezeichnet.
    War er das?
    Ich verlor den Weg, den ich bis dahin in meinem Leben zurückgelegt hatte, zunehmend aus den Augen. Wenn ich im Bad stand, mir die Wimpern tuschte und Lidschatten auftrug, blickte ich in ein Gesicht, das nicht meines war. Ich trug Klamotten, die nicht meine waren. Jeden Tag schlüpfte ich in eine Hülle, die nichts mit mir zu tun hatte. Ich verlor jedes Zeitgefühl, wusste weder, welcher Tag war, noch, wie lange ich schon hier war. Die neue Taktung gaben andere vor. Sie bestimmten, wann ich auf die Straße musste, wann es zu Ende war und zu wem ich ins Auto steigen sollte. Was ich dort zu tun hatte, bestimmten die Freier. Am schlimmsten waren die, die hinterher sagten: »Weißt du, ich hab auch eine Tochter in deinem Alter. Die geht jetzt aufs Gymnasium, is echt ’n tolles Mädchen.«
    *
    Wenn ich am Ende der Woche nicht genügend Geld anbrachte – und das schaffte ich eigentlich nie –, nahm Kugler mich »ins Gebet«. Der ständige Druck, die Angst vor Schlägen und sexueller Gewalt zermürbten mich. Kugler gab mir das Gefühl, dass nur ich diejenige sei, die ständig Schwierigkeiten machte, die nicht funktionierte. Die anderen ließen mich das auch spüren. Ich fühlte mich ausgegrenzt, unter Beobachtung, selbst wenn Kugler nicht da war. Alle gaben mir das Gefühl, wenn ich endlich auf Spur sei, wäre das Leben insgesamt leichter. Schuld, diese verdammte Schuld. Schuld am Tod von Matthias, schuld daran, dass Mutter wieder trank, schuld, weil ich mit Jakob nicht klarkam oder Sandra mal wieder durchdrehte. Schuld, weil ich gegen Regeln verstieß. Weshalb Kugler an mir auch immer wieder vor allen anderen ein Exempel statuieren musste – obwohl er das gar nicht wollte. »Dein Leben könnte viel einfacher

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