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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Kopp
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zwischen meine Eltern. Da trug ich ein gestreiftes Strickkleid mit einem Gürtel, an dem Bommeln dran waren, die meine Mutter abends nach der Arbeit gebastelt hatte. Schau mal, du musst nur die Wolle um die Pappschablonen rumwickeln. Schön gleichmäßig. Ja, so. Pass auf, dass es da nicht zu dick wird. Sonst kannst du es nicht mehr aufschneiden. Wenn ich dann mit meiner kleinen, stumpfen Handarbeitsschere durch die Wollfäden schnitt, platzte die Kugel auf. Ein bunter, praller Ball, ganz weich und flauschig. So wie in meinem Kopf. Wenn ich mich fest konzentrierte, war alles ganz weich. Dann tat es nicht weh. Wollewatteweich, ich bin nicht da, du kriegst mich nicht.
    Wann immer es ging, steckten Lea und ich zusammen. Unsere Freundschaft gab uns Halt, machte uns aber auch zu Außenseitern. Wir waren die einzigen, die im Doppelpack ins Jasmin gekommen waren.
    Trixi und ich, na ja, wir mochten uns immer noch nicht besonders. Ich hatte das Gefühl, dass sie in den anderen Mädchen eher Rivalinnen sah als Leidensgenossen. Die Dynamik war seltsam. Wir buhlten alle um Kuglers Aufmerksamkeit, wollten die Beste sein, sein Liebling – in der Hoffnung, dass er uns dann nicht oder weniger weh tat. Ich weiß noch, wie er nach der ganzen Polizeigeschichte, nach der er mich so übel zugerichtet hatte, zu mir ins Bad kam und sich auf die Wanne setzte. »Hey, ich hab einfach nur Angst um dich. Angst, dich zu verlieren. Wäre sehr schade.« Er stand auf, nahm mich in den Arm und küsste mich.
    Ich war so froh, dass er mir diese »Dummheit« verziehen hatte, dass es ihm offenbar um mich ging, dass ich mich sogar dafür schämte, dass er mich so verheult und blaugeschlagen sah. Als hätte das ein anderer zu verantworten.
    »Ich will doch meine kleine Zicke nicht verlieren.« Grins. Schalter umgelegt, ganz der Verständnisvolle.
    Ich versprach ihm hoch und heilig, dass ich in Zukunft keinen Ärger machen würde. Das meinte ich in diesem Moment tatsächlich so.
    Als er fertig war, drehte er sich beim Herausgehen noch einmal um. »Siehst du, Süße, es klappt doch mit uns beiden. Ist doch ganz nett, wenn du dich mal nicht wehrst, oder?« Ich war froh, dass er zufrieden mit mir war.
    Kugler wusste nicht nur, wie er uns manipulieren, sondern auch, wie er uns gegeneinander ausspielen konnte. Aus seiner Sicht war Trixi die Beste. Sie war oft die Einzige, die ihr Wochensoll von tausend Mark erfüllte. Wie in der Schule führte er uns dann die »Einserkandidatin« vor. »Könntet ihr auch schaffen, müsst euch nur mehr anstrengen.«
    Und wie in der Schule mochte man den Streber nicht, der mit glänzenden Augen das Lob des Lehrers entgegennahm und stolz in die Runde blickte. Ich, ich bin sein Liebling, ich hab’s geschafft! Nur, hier ging es nicht um Fleißsternchen, hier ging es letztlich ums Überleben. Jede von uns kämpfte darum, jeden Tag. Und dabei war sich jede selbst die Nächste. Wir trauten einander nicht über den Weg, und Kugler tat alles, damit das auch so blieb. Konkurrenz belebt das Geschäft. Wenn dann alle für den Fehler einer Einzigen bestraft wurden, richtete sich unsere Wut nicht gegen Kugler, sondern gegen die, die uns das eingebrockt hatte. Es war wie eine Gehirnwäsche. Wir waren in eine Welt hineingeworfen, in der die normalen Regeln des Zusammenlebens nicht galten. Er hockte wie eine fette Kröte in der Mitte und warf uns hin und wieder ein paar Bröckchen hin, die wir gierig vom Boden aufklaubten. Weg da, das ist meins. Küss mich, ich bin euer Prinz, einen besseren kriegt ihr nicht.
    Liebten wir ihn am Ende vielleicht sogar in gewisser Weise, nur damit es irgendwie erträglicher wurde? Das ist eine Frage, die ich mir heute stelle, damals spielten solche Gedanken keine Rolle. Keine Liebe im eigentlichen Sinne, sondern eine unterwürfige, abhängige. Wie ein Hund, der von seinem Herrn getreten wird, aber trotzdem mit dem Schwanz wedelt, wenn er einen Knochen bekommt.
    Die Einzige, mit der ich anfangs noch darüber redete, was das alles mit uns machte, war Lea. Irgendwann hörten wir damit auf. Vielleicht, weil wir längst nicht mehr dachten und fühlten. Gefühle hatten hier keinen Platz. Sie waren nicht gut, weil sie einen schwach machten, man musste sie wegdrücken, ausschalten. Sonst überlebte man nicht.
    *
    Eigentlich hatte ich einen wunderschönen Tag mit meinem Freund Pierre. Wir sind einkaufen gewesen, ich war stolz wie ein kleines Kind, dass ich das geschafft habe. Wir haben gelacht, mit meinem Sohn gespielt

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