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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Kopp
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zu würgen, ließ er für einen Moment von mir ab. Auf allen vieren kroch ich in die Ecke zwischen Wand und Wohnungstür, zog die Beine an und umklammerte sie mit meinen Armen.
    Eine Scheißidee.
    Er hatte leichtes Spiel.
    »Komm schon! Du machst alles nur noch schlimmer!«
    Sein Gesicht war dicht über mir. Dieser widerwärtige Geruch, diese verdammten Augen. Das Keuchen. Ich hatte das Gefühl zu ersticken, in meinem Kopf brummte es, Tausende von Hummeln summten. Er kniete sich auf mich, presste mich mit seinem ganzen Gewicht nach unten. Mit der Hand packte er mir wieder an den Hals. Je mehr ich mich wehrte, umso fester drückte er zu. Meine Arme wurden immer schwerer, ein hilfloses Trommeln gegen seinen massigen Oberkörper, das mir mehr weh tat als ihm.
    Und dann wurde ich plötzlich ganz ruhig. Ich gab auf. Mein Körper war wie gelähmt, ich konnte mich nicht mehr bewegen. Selbst mein Blick, der eben noch panisch hin und her geirrt war, wurde nun starr. Ich heftete ihn an einen Punkt an der Decke. Alles ist mit einem Mal ganz weit weg. Das Klacken der Gürtelschnalle, das Ratschen des Reißverschlusses, das Keuchen seines Atems. Wie durch einen schweren Vorhang, der alles dämpft. Ich spüre nichts. Meine Gedanken tragen mich davon in eine andere Welt, und die Zeit um mich herum bleibt stehen. Diffuses, warmes Licht, Geborgenheit, honigsüß und heil. Kinderlachen. Guck mal, Papa! Ich kann Fahrrad fahren! Auf einem rot lackierten Rad mit einem Bananensattel umkurve ich ihn. Noch etwas wackelig, aber ohne zu fallen.
    Ohne zu fallen.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange dieser Schwebezustand anhielt. Das Erste, was ich spürte, war, dass mir Tränen in die Ohren rannen. Kühle Tropfen, gleichförmig, Zeit verrinnt. Der Boden unter mir war hart und kalt. Irgendwann ließ er von mir ab. Stand auf, als sei nichts gewesen.
    »Hör auf zu flennen. Geh ins Bad und mach dich sauber.«
    Wie betäubt blieb ich hocken. In diesem Moment wäre ich am liebsten tot gewesen. Meiner Würde beraubt, kaputt. Es wäre besser gewesen, wenn meine Taubheit angehalten hätte. Zu begreifen, was gerade mit mir passiert war, war die Hölle.
    »Hast du nicht gehört?«
    Mit zitternden Fingern griff ich nach meinem Oberteil und zog mich an der Wohnungstür nach oben.
    Kugler war ins Wohnzimmer gegangen und hatte sich in einen Sessel gefläzt. »Gestern Abend haste dich aber nicht so angestellt«, rief er mir hinterher, als ich ins Bad ging.
    Gestern Abend haste dich aber nicht so angestellt. Die Worte hallten in meinem Kopf nach. Ich sah in den Spiegel. Er fände es richtig schlimm, hatte er gesagt, dass so nette Mädchen wie wir kein Zuhause hätten. »Auf der Straße! Das geht doch nicht. Dafür seid ihr viel zu jung. Also wenn ihr meine Töchter wärt …« Sein Problem sei, dass er einfach zu gut sei, Mitleid habe mit solchen wie uns. »Und wo hat mich das hingebracht?« Er hatte mit einer ausladenden Geste in die Runde gelacht. »Jetzt hab ich einen ganzen Stall voll Mädels, die mir auf der Tasche liegen! Aber ist ja für eine gute Sache.«
    Ich konnte meinen Anblick im Spiegel nicht ertragen. Mit dem Waschlappen scheuerte ich so lange über meine Haut, bis alles feuerrot war. Als könne ich den Schmutz abwaschen, die Erniedrigung, das, was er mir angetan hatte.
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich mich aus dem Bad traute. Ich stand im Flur und sah zur Haustür. Eines der anderen Mädchen huschte in die Küche.
    Wo ist eigentlich Lea?
    Kugler winkte mich ins Wohnzimmer. »Setz dich mal zu mir. Du weißt doch hoffentlich, dass ich dich bestrafen musste, oder?«
    Ich wusste gar nichts.
    »Ich habe euch gestern hier aufgenommen, aus der Gosse geholt, und zum Dank wollt ihr abhauen? Umsonst gibt es hier nichts. Wir hatten eine Abmachung. Ich hab mich auf euch verlassen!«
    Was für eine Abmachung? Ich blickte ihn unsicher an.
    »Willst du mir jetzt weismachen, du weißt davon nichts mehr? Wer keine Kohle für die Haushaltskasse hat, muss dafür was tun! Ist nur fair, ich bin nicht die Heilsarmee. Anschaffen, verstehst du? Auf’n Strich gehen. Und ihr habt zugestimmt.«
    Ich starrte ihn an, dann brach es nur so aus mir heraus. Ich war so geschockt und wütend, dass ich kaum meine eigene Stimme erkannte. Ich schrie ihn an, dass ich so etwas niemals tun würde und mich nie und nimmer auf so einen Deal eingelassen hätte. Niemals!
    »Willst du behaupten, ich lüge?«, herrschte er mich an und sprang auf. Ich zuckte zusammen und hob abwehrend den

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