Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
hinterher die Scheiße aus dem Gesicht, hohoho!« Lea und ich kriegten uns kaum wieder ein, wer hätte gedacht, dass Ines so gut schauspielern konnte.
Als die Tür mit einem Mal aufging, erstarrten wir. Kugler musste uns gehört haben, das hatten wir jetzt von der Rumalberei. Es war aber nur Jasmin, die noch einen Blick in den Flur warf und dann die Tür hinter sich schloss.
»Viel Glück!«, sagte sie.
In meinem Inneren ging alles durcheinander. Angst, Erleichterung und Hoffnung. Sie wusste, was wir vorhatten, und verriet uns nicht. Sie nahm eine nach der anderen in den Arm. »Passt auf euch auf!« Dann ging sie so schnell, wie sie gekommen war.
Es dauerte, bis ich mich wieder gefangen hatte.
Kugler höchstpersönlich holte uns ab und fuhr uns. Auf dem ganzen Weg hielt er uns einen Vortrag. Dass es eigentlich zu früh sei für solche Ausflüge. Dass es ein riesiges Zugeständnis sei, dass er gar nicht wisse, welcher Teufel ihn eigentlich geritten habe, bla, bla. Und dass sich jetzt zeigen würde, ob sein Vertrauen gerechtfertigt war. Und falls wir doch auf dumme Gedanken kommen sollten, hätte er bestens vorgesorgt.
»Damit das klar ist, die wissen alle Bescheid. Meine Leute werden ein Auge auf euch haben, verlasst euch drauf!«
Er parkte den Wagen, hakte uns unter und steuerte auf den Türsteher zu. Man kannte sich offenbar, die beiden lachten, und Kugler deutete immer wieder mit dem Kopf auf uns. »Dass mir da nichts anbrennt! Du bist mir dafür verantwortlich!« Er haute ihm auf die Schulter.
»Klar. Geht klar.«
»Und noch was: Die Damen haben freien Eintritt. Wenn sie gehen wollen, rufst du an.«
»Alles, was du willst, Mann.«
Ein Nicken, ein Blick in unsere Richtung, dann stieg er ins Auto und rauschte davon.
Frei, frei, wir waren frei! Wir amüsierten uns, tanzten und tobten ausgelassen durch den Laden. Wir waren wie alle hier, nichts passiert, ganz normale Mädchen. Um zwölf holen uns unsere Eltern ab, und am Montag gehen wir in die Schule.
Blödsinn. Was glotzt der Typ denn so. Is nicht, läuft nicht, mit mir nicht. Kannste dir sowieso nicht leisten, haha. Penner. Und was, wenn Markus uns hängenlässt? Zurück in die Hölle? Niemals. Aber wohin dann? Nach Hause? Guter Witz. Zusammenbleiben wollten wir, recht viel mehr wussten wir aber auch nicht.
Ich weiß nicht mehr, wie und wann Lea Kontakt zu ihrem Ex aufgenommen hat; jedenfalls hatte sich Markus spontan bereit erklärt, uns zu helfen. Ich glaubte nicht wirklich daran, aber er kam tatsächlich wie versprochen im Laufe des Abends. Wir unterhielten uns, tanzten zwischendurch immer wieder, wollten auf keinen Fall irgendwie auffallen.
Markus verließ die Disko einige Zeit vor uns. Lea, Ines und ich schlenderten betont langsam zum Ausgang und sahen immer wieder auf die Uhr. Der Typ von vorhin war nicht da, ein anderer stand am Eingang. Aber er schien Bescheid zu wissen. »Na? Fertig amüsiert für heute?«
Wir nickten. Ich weiß heute nicht mehr, wer es war, aber eine von uns dreien sagte: »Er weiß schon Bescheid, wir werden gleich abgeholt.«
Der Kerl war nicht ganz auf der Höhe, aber es hätte ja auch stimmen können. Bei der Garderobe hing ein Telefon. Er ließ uns anstandslos aus der Tür und nahm nicht mehr wirklich Notiz von uns.
Als wir außer Sichtweite waren, rannten wir los. Markus wartete in einer Seitenstraße. »Los, los, rein jetzt!« Er schob uns in den Lieferwagen und schlug die Tür hinter uns zu. Die Dunkelheit war absolut. Nur unser keuchender Atem war zu hören. Angst kroch in mir hoch. Eingesperrt, du bist wieder eingesperrt. Hektisch nestelte ich in meiner Jackentasche nach einem Feuerzeug. Als die Flamme anging, wurde ich etwas ruhiger. Unsere Köpfe warfen lange Schatten auf das Blech des Wagens. Ich musste lachen. »Mädels, wie ging das noch mal? Ihr wisst schon, diese Schattenspiele mit den Fingern.«
»Ja, so. Ha, das Krokodil. Und jetzt den Hund.« Wie die kleinen Kinder.
Als der Motor aufheulte und der Wagen sich endlich in Bewegung setzte, kreischten wir durcheinander.
Raus! Ende! Neuanfang!
Über den hatten wir uns allerdings keine Gedanken gemacht. Markus lud uns irgendwo in Leipzig ab, weit weg von der Merseburger Straße. Wohin? Scheißegal, in eine Schänke, die noch aufhatte. Wir hatten Geld, und was kostete die Welt?
Gegen acht Uhr morgens kehrten sie uns vor die Tür.
Unschlüssig und übernächtigt standen wir auf der Straße. Shoppen gehen? Nee, die Läden hatten ja noch zu. Der Bahnhof!
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