Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
seinen Konklavisten Bescheid geben lassen. Doch das würde Zeit in Anspruch nehmen, die er vielleicht nicht mehr hatte. Er brauchte jetzt eine Waffe, ein Ereignis, das ihn zurück ins Spiel brachte. Nicht nur das. Er brauchte einen Joker, der nicht zu schlagen war.
Benedetti plagten die gleichen Sorgen, wenngleich weniger dramatisch als Armbruster. Bei ihm hielten sich Zugänge und Abgänge die Waage. Wenn er nur lange genug durchhalten würde, könnte er den 28. Wahlgang erreichen und mit einer absoluten Mehrheit von 68 Stimmen als nächster Papst gewählt werden. Die Chancen standen dafür nicht schlecht. Nach Armbrusters vergeigtem Auftritt mussten seine Abgänge irgendwo unterkommen. Dadurch hatte sich seine Gruppe der Italiener und anderer Europäer um einige Amerikaner aufgestockt.
Nur nochein Teil der reformwilligen Deutschen und der liberalen Polen war unberechenbar, die anderen hatte er auf seiner Linie. Aufgrund der jahrzehntelangen Verbindungen nach Südamerika war Rodriguez ihm gegenüber zwar im Vorteil, aber es fehlte ihm an Schläue, an Berechnung und auch an Intriganz. Dazu war dieser Bauer zu einfältig, ländlich unverdorben. Benedetti jedoch war sein halbes Leben bereits in Rom. Es war von Anfang an seine Stadt. Hier musste man das Spiel eines Großstädters spielen. Bauernstreiche waren fehl am Platz. Jetzt stand er auf der Schwelle zum Petersdom, die Tür stand weit offen, er musste nur noch hineingehen.
Was könnte er den Wackelkandidaten anbieten? Eine der mächtigen Kongregationen? 24 Die für die Bischöfe vielleicht? Oder jene für die Evangelisierung der Völker? Beide waren Schlüsselpositionen im neuen Kabinett, dem er als Papst vorstehen würde. Da brauchte er Köpfe, denen er vertrauen konnte, um seine Pläne Wirklichkeit werden zu lassen. Oder sollte er die Katze aus dem Sack lassen, indem er bekannt gab, die noch mächtige, für seinen Geschmack aber unberechenbare Kongregation für Glaubenslehre zu schließen und sie durch eine Superkongregation für Zukunft, Kommunikation und Forschung zu ersetzen?
Und wem könnte er sie überhaupt anbieten? Wer war der neue Meinungsführer in diesem Haufen aufgescheuchter Hühner? Wer war sein größter Feind, den er mit dem Judaslohn eines Postens kaufen konnte und dessen Gefolgschaft in sein Lager wechseln würde? Benedetti schaute sich um.
Veroni war aufmerksam. Ihm entging die Spannung nicht, die zwischen Armbruster und Benedetti bestand. Genauso wenig wie das bunte Wechselspiel der Kardinäle in ein anderes Lager, sobald der Einsatz für ihre Stimme erhöht wurde. Die Börse florierte. Im Saal hatten sich kleinere und größere Gruppen gebildet, zwischen denen die Konklavisten Angebote und Nachfragen übermittelten. War etwas interessant, so fanden sich Käufer und Verkäufer unter vier Augen zusammen.
Veroni befahl seinen Konklavisten zu sich. »Hat Ninian sich schon gemeldet?«
»Ja, er sagt, er habe diesen Kilian auf den Papyrus angesetzt.«
»Ist er vertrauenswürdig?«
»Für Ninian ist er es.«
»Hoffen wir’s … Was machen die Peruaner?«
»Sie sind unsicher. Ich habe gehört, dass sie gleich eine Besprechung unter sich einberufen, wie sie weiter verfahren werden.«
»Du meinst, ob sie Armbruster weiter unterstützen wollen?«
»Ich habe den Eindruck, dass sie nicht mehr so geschlossen sind wie sonst. Einige sind zutiefst besorgt, was zu Hause passiert. Trotz aller Einschüchterungsversuche von Armbruster wollen sie über Rodriguez sprechen.«
»Bleibt Benedetti. Was plant der?«
»Irgendwas ist am Laufen. Ich weiß noch nicht, was es ist. Aber es wird gemunkelt, dass es sich um die Besetzung einer neuen, mächtigen Kongregation handeln soll, die er einrichten will.«
Veroni dachte nach. Eine neue Kongregation. Das wäre ein Angebot, das nur schwer auszuschlagen sein würde. Er blickte sich um und fragte sich, wer dafür in Frage käme. Mit wem würde Benedetti sprechen?
Doch halt, irgendetwas stimmte hier nicht. Wo waren Armbruster und Benedetti?
Ein Hupkonzert begleitete Heinlein den langen Weg in die Stadt. Selbst die Nutten in der Via Salaria konnten ihn zu Fuß einholen, so eisern hielt er sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung, aber auch an sein Eheversprechen. Erst in der Viale Bruno Buozzi wurde es etwas ruhiger. Die Straße war breit, und aus den Seitenstraßen kam nur hin und wieder ein Fahrzeug. Er drückte die Arme am Lenkrad durch, ließ den Kopf im Nacken kreisen, um die Verspannungen der 1200 Kilometer
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