Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
Lebenszeit bestellt und obendrein unfehlbar. Somit kommt er einem Gott gleich. Dass der Papst und seine Gläubigen darüber fortlaufend gegen das erste Gebot verstoßen, tut der Sache mit dem Verweis auf die Stellvertreterschaft keinen Abbruch. Man wurde durch Gott selbst dazu legitimiert.
Doch das sind nur weltliche Maßstäbe. Was den Papst wirklich über alles erhaben macht, ist die Macht, jedem sterblichen Individuum bereits zu Lebzeiten die Errettung für die Aufnahme ins Himmelreich in Aussicht zu stellen, sofern er sich nach den dafür aufgestellten Vorgaben der Kirche richtet. Wenn der Tod naht, und das tut er mit jedem Herzschlag und jedem Atemzug, gewinnt ein derartiges Versprechen die Oberhand über jedes noch so prall gefüllte Bankkonto und schließlich auch über den Verstand.
»Jesus wollte das Reich Gottes, gekommen ist die Kirche«, hatte ein Franzose gelästert. Für einen, der in der Todeserwartung lebte, gegen Macht, Unterdrückung und Unfreiheit rebellierte und sich auf die Seite der Verfolgten stellte, musste er nun auf seine Niederlage oder gar auf seinen Verrat blicken. Den Siegeszug der Nachfolger Jesu möglichst lange weiterzuführen und mit Hilfe der Missionierung auszubauen, war Ziel und Aufgabe jedes einzelnen der 135 wahlberechtigten Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle.
All das behaupteten viele Kirchenkritiker, die sich seit dem »Fall Esperanza« verstärkt in den Medien äußerten. Der Druck auf die Kardinäle war enorm. Entgegen des Verbotes, Kontakt zur Außenwelt während des Konklaves aufzunehmen, sickerten über die Konklavisten und die Ärzte immer neue Schreckensmeldungen durch. Nicht zuletzt gefördert durch den misslungenen Auftritt Armbrusters vor der ganzen Welt. Einflussreiche Stimmen wurden laut, die Gedanken dieses Bettelmönchs, der sich so mutig und entschieden gegen diese Kirche ausgesprochen hatte, aufzugreifen und neu zu diskutieren. Eine Aussetzung der Papstwahl kam ins Gespräch.
Die magische Zahl lautete 91. Sie entsprach zwei Dritteln aller Stimmen plus einer. Doch davon waren sowohl Armbruster als auch Benedetti meilenweit entfernt. Im Gegenteil, ein unerwarteter Gegner war seit dem Ausscheiden von Esperanza und Mala Dingkor aus dem Niemandsland aufgetaucht. Ein unbedeutender Kardinal namens Manuel Rodriguez aus Honduras erhielt Runde um Runde mehr Zuspruch, gefördert durch den Orkan, der von der ganzen Welt aus auf den Vatikan zusteuerte. In den Heimatländern der jeweiligen Kardinäle liefen die aufgebrachten Gläubigen Sturm gegen ihre Kathedralen. Bischöfe und Priester gerieten unter Dauerfeuer. Letztere sollten gar nicht selten selbst die Wortführer sein. Das konnte nicht lange gut gehen. Schwarzer Rauch wurde in den Schornstein entlassen.
Armbrusters Konklavist kam mit tiefen Sorgenfalten von einer abseits stehenden Gruppe zu ihm zurück.
»Und, was haben sie vor?«, fragte Armbruster nervös.
»Wir haben zwei Afrikaner, einen Polen und einen Chilenen verloren. Drei andere wackeln. Sie haben angedeutet, dass sie beim nächsten Wahlgang über Benedetti und Rodriguez nachdenken wollen.«
»Verdammte Verräter«, zischte Armbruster. »Hast du ihnen zu verstehen gegeben, dass sie dann nicht mehr mit der Unterstützung des Opus zu rechnen brauchen? Dass ich ihnen ihre Schulen, Wohnheime, Institute und Stiftungen dichtmache? Ganz einfach dicht?!«
»Sicher.«
»Auch die Kindergärten, Krankenhäuser, Altenheime und den ganzen Rest?«
»Ja, aber sie lassen sich nicht beeindrucken. Sie haben Angst.«
»Wovor?«
»In ihren Kirchen toben Stürme. Bischöfe predigen von der Kanzel gegen sie, Priester laufen zum Pöbel über, solidarisieren sich mit ihm und ermutigen ihn noch. Die Sache läuft uns aus dem Ruder.«
»Dann sperr ich ihnen die Konten. Sollen sie schauen, wie sie was zu fressen kriegen.«
»Das nützt nichts. Nicht jetzt. Sie sind wie irre. Der ganze Hass und die aufgestaute Wut entladen sich einer Lawine gleich. Wir müssen schnellstens etwas dagegen unternehmen, sonst werden wir unter ihr begraben. Wir haben nicht viel Zeit.«
Armbruster zwang sich zu einem kühlen Kopf. Er musste nachdenken, sortieren, was er noch in seinem Köcher hatte. Der Papyrus, den Yasmina in der vergangenen Nacht in die Via Villa Sacchetti gebracht hatte, war im Moment noch nicht zu gebrauchen. Niemand wusste genau, was er beinhaltete. Das war Aufgabe der drei Spezialisten, die er hatte einfliegen lassen. Sie würden ihn heute untersuchen und ihm über
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