Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
zu lösen. Den Mann, der an der Via Villa Sacchetti auf der Lauer lag, nahm er nicht wahr.
Die Zeit der Entspannung war vorbei, als Heinlein den Tiber überquerte und sich auf dem Lungotevere in den Verkehr einordnete. Auf vier Spuren schossen die Vespas, gefolgt von lärmenden Autos, an ihm vorbei. Ihr Ziel: unbekannt; Hauptsache: schnell. Heinlein setzte sich auf, prüfte die Verfolger in den Seitenspiegeln und suchte treudeutsch seine Spur zu halten. Doch ein ums andere Mal stellte er eine Behinderung dar und wurde von allen Seiten geschnitten und beschimpft.
»Verrückt«, sagte er, »die sind alle völlig verrückt.«
Die Ampel vor ihm schaltete auf Rot, und Heinlein brachte den Wagen ordnungsgemäß zum Stehen. Noch ein Fehler. Römer sehen Ampelanlagen als Teil der Straßenbeleuchtung; als Verkehrshinweis sagen sie ihnen nichts. Wie wild gewordene Hornissen pfiffen sie an ihm vorbei, Schmährufe und eindeutige Fingerzeige im breiten Sortiment. Erst als der Verkehr aus den Seitenstraßen einsetzte, beruhigten sich die Verfolger. Um ihn herum baute sich eine Reihe Vespas auf, reichlich bestückt mit hübschen und vor allem kurz berockten jungen Signorinas.
Eine blickte zu ihm hinunter, musterte aufmerksam das Wageninnere und lächelte ihm zu. »Ciao, Giorgio, come stai?«
Heinlein schluckte. Verdammt, woher kannte sie seinen Namen? Er rief die Lektionen aus seinem Gedächtnis ab, die die Frage klären sollte. Zu lange, denn erneut versank er in einem ohrenbetäubenden Hupkonzert. Die Ampel war auf Grün gesprungen. Die Signorina gab Gas und ritt mit den anderen die nächste Attacke.
Jetzt reichte es ihm. »Verdammt, können die nicht mal eine Sekunde lang warten?!«
Er legte den Gang ein, weckte seine 400 Pferde und entließ sie in die Freiheit. Der Porsche flog zornig dahin, wie vom Katapult gezogen. Und tatsächlich, es klappte. Wer mit 100 über die Straßen Roms fegt, lässt alle bösen Dinge und den Stau hinter sich.
*
Yasmina trat als Erste auf die Straße hinaus, dann die drei Männer; dieselben, die zuvor die Burg betreten hatten. Ich wich ein Stück hinter die Hausecke zurück. Sie stritten. Nein, Yasmina stritt mit ihnen. Die anderen schienen auf ihre Argumente gar nicht weiter einzugehen. Ich musste mich zurückziehen, da sie direkt auf mich zukamen. Eine Werbetafel an einer Bushaltestelle bot mir ausreichend Schutz. Sie zogen an mir vorbei, und ich hörte, wie Yasmina darauf drängte, Kardinal Armbruster zu sprechen. Einer antwortete in Spanisch. Ich verstand die Worte nicht, nur so viel, dass sie sich das abschminken konnte. Yasmina kochte vor Wut.
Ich folgte ihnen zu einer kleinen Bar, wo sie ein paar Tramezzini 25 bestellten und sie im Stehen verspeisten. Yasmina ließ nicht locker und redete auf die Kerle ein. Einer von ihnen hatte seine Ledertasche mit dabei. Sie lag zu seinen Füßen, eingekeilt zwischen zwei Barhockern und einer italienischen Familie, die engagiert mit dem Wirt über den nächsten Papst philosophierte.
Zwei Kinder saßen auf dem Boden und spielten gelangweilt mit einer widerspenstigen Katze.
Es war einen Versuch wert. Es gelang mir, zuerst die Katze und dann die Kinder vor die Tür zu locken. Dem größeren der beiden Jungen versprach ich einen Schein, wenn er mir die Tasche unbemerkt herausbringen konnte. Überraschungen nehmen mit dem Älterwerden ab, und so forderte der Kleine zwei Scheine – einen für sich, den anderen für seinen kleinen Bruder. Man musste ja von irgendetwas leben in dieser teuren Stadt. Einen Schein als Anzahlung, den zweiten bei Lieferung. Ich ging auf den Deal ein und wartete ab, was geschehen würde.
Wie abgesprochen watschelte der Kleine an die Bar, setzte sich auf den Hosenboden und fing herzzerreißend an zu weinen, sodass es kein anderes Thema in dem kleinen Raum mehr gab. Kindergeschrei scheint bei Südländern eine seltsame Nostalgie an die eigene Vergangenheit auszulösen, und so gingen die drei Spanier wie die Mutter in die Hocke und befragten die Heulboje nach der Ursache der Katastrophe. Yasmina blieb davon unbeeindruckt. Sie bestellte sich einen Espresso. Der größere der beiden Kleinunternehmer nutzte die Gunst des Augenblicks.
Ich tauschte Schein gegen Tasche. Ein paar Meter weiter förderte ich einen Ausweis, ein Fax und diverse Papiere über antike Siegel zutage. Die Fundstücke besagten, dass der Mann Professor für Sphragistik 26 an der Uni in Madrid war. Auf eine Bitte hin, die mehr einem Befehl gleichkam, sollte er
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