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Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Titel: Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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Medaille hatte auch eine Kehrseite. Wir waren die unbestrittene Autorität in der Gesellschaft, und diese Macht wussten wir zu nutzen. Zum Beispiel in Sachen Moral waren wir einsame Spitze. Erst seit 1993 sind Kondome frei erhältlich, und schwul zu sein ist nicht mehr strafbar. Das hatten wir bis dahin noch verhindern können. Zwei Jahre später erzwang eine Volksabstimmung die Aufhebung des gesetzlichen Scheidungsverbotes. Dagegen predigten wir unverdrossen, ebenso gegen Mischehen und vor allem gegen die Abtreibung. Bis vor ein paar Jahren, als in Amerika die Memoiren einer Irin erschienen. Sie war in den Siebzigern vom Bischof von Galway schwanger und gebar das Kind in aller Diskretion in den Staaten. Der Bischof zahlte Unterhalt, manche behaupten sogar, aus der Gemeindekasse.
    Das war erst der Anfang. Plötzlich kamen noch ganz andere Geschichten ans Tageslicht. Unzucht mit Kindern bis hin zum Alkoholismus. Ein Abgrund an Doppelmoral tat sich auf, sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser. Das Resultat war, dass sich die Jungen aus meiner Kirche verabschiedeten und ich nichts dagegenzusetzen hatte.
    Ich musste etwas unternehmen und drängte meinen Bischof zur Tat. Alles, was ich erntete, war Zurechtweisung und der Befehl zum strikten Gehorsam. Bis eines Nachts ein völlig verzweifeltes Mädchen an meiner Tür klopfte. Ich weiß nicht, was sie ausgerechnet zu mir getrieben hatte, aber sie schien Vertrauen zu mir zu haben. Sie beichtete, dass sie schwanger sei, ihr Freund nichts mit dem Balg zu schaffen haben wollte und ihr Vater sie mit Prügeln zum Dorf hinausgejagt hätte. Sie bat mich um Geld, damit sie nach England gehen konnte, um das Kind abzutreiben. Ich kam ihr natürlich mit den altbekannten Sprüchen und drängte sie, das Kind zu gebären. Alles andere wäre eine Todsünde, und sie würde in der Hölle schmoren … Am nächsten Morgen haben Kinder sie in einem Gebüsch gefunden.«
    Er reichte mir seinen Becher, und ich füllte ihn bis zum Rand. Nach dem dritten Schluck war er leer, und ich führte den stummen Auftrag nochmals aus.
    »Was hast du daraufhin gemacht?«, fragte ich.
    »Ich zog meinen Priesterrock aus, öffnete eine Flasche und trank sie aus.«
    »Und seitdem?«
    »Bringe ich Schnaps unter die Leute. Das ist ein ehrenwerter Beruf. Daran gibt es nichts auszusetzen. Cheers.«
    Wir leerten unsere Becher und Lorcan sein Reservefach. Er förderte eine Flasche Black Bush zutage und reichte sie mir zur feierlichen Öffnung.
    »Guuud-stuff!«, schwelgte er, als der goldene Malt seine Kehle hinunterrann.
    Wahrlich, das Zeug war gut.
    »Was ist das eigentlich für ein Aufkleber?«, fragte ich und zeigte auf die Windschutzscheibe.
    »Kill your idols! Das ist die wahre Botschaft des Herrn.«
    Er wechselte die Kassette im Recorder, und Paradise City von Guns N’ Roses hämmerte aus den Boxen. Ich hielt mir die Ohren zu, bis er ein Einsehen hatte.
    »Zu hart für dich?«, fragte er.
    »Früher hab ich nicht genug davon bekommen können. Heute lass ich’s ruhiger angehen. Tom Waits und Cassandra Wilson sind eher mein Ding.«
    »Was glaubst du, was passieren würde, wenn Jesus heute noch einmal auf die Welt käme?«
    »In Deutschland würde er entweder als Ausländer ausgewiesen werden, oder er bekäme seine eigene TV-Show. Und du?«
    »Ich denke, es würde haargenau das Gleiche passieren wie vor zweitausend Jahren. Nur das Kreuzigen ist heute nicht mehr so in. Wenn ich mir vorstelle, dass so ein verlauster Rumtreiber vor dem Vatikan die Händler verjagen würde und dann den Papst zur Rede stellt, was er und seine Vorgänger aus seiner Botschaft gemacht haben. Das wäre wirklich funny. Cheers.«
    »Was würde Jesus ihm vorwerfen?«
    »Einiges! Die Bibel, die Kirche, die Millionen toter Andersgläubiger, die Milliardengeschäfte, Hunger, Armut und vielleicht das schlimmste aller Vergehen, dass alles in seinem Namen verübt wurde. Das, was seine Nachfolger aus seiner Botschaft gemacht haben und worauf diese ganze Charade aufbaut, würde er dem Papst vorhalten. Jesus war ein Rebell, ein Unruhestifter gegen die Gewohnheit und die Macht der Herrschenden, einer, der sich mit Huren und Zöllnern abgab.
    Ihm waren Macht, Reichtum und Unterdrückung zuwider, ebenso der irrsinnige Glaube, dass es eine Kirche bräuchte, die seine Botschaft in die Welt tragen sollte. Wie auch? Er glaubte an ein baldiges Gottesreich. Da war kein Platz für eine Kirche.
    Doch dann kam Paulus. Er und nicht Jesus ist der

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