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Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Titel: Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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störrischen Schaltknüppel scheppernd in den ersten Gang. Dreihundert Pferde unter der Motorhaube bäumten sich wütend auf.
    »Los geht’s!«, brüllte Lorcan, und der schwere Laster setzte sich langsam in Bewegung.
    Mir fiel ein Aufkleber ins Auge, der an der Windschutzscheibe befestigt war. Er zeigte das dornengekrönte Haupt Jesu, der um Erlösung bittend nach oben blickt. Darunter stand: »Kill your idols!«
    Nach drei todesverachtenden Einfällen in die für Irland so typischen Roundabouts 11 fanden wir uns auf einer gewundenen, schmalen Landstraße wieder, die Lorcans Bierkutsche zu drei Vierteln einnahm.
    Er und der spärliche Gegenverkehr waren sich der Macht seines tonnenschweren Gefährts und der kostbaren Fracht bewusst, die der Lebenssaft der Iren war. Freiwillig würde er keinen Zentimeter dieser Macht preisgeben. Jeder anständige Ire erwartete ein frisch gezapftes und nie enden wollendes Pint, was ein wenig mehr als einen halben Liter Bier zählt, in seinem Pub, an seinem Tresen täglich vorzufinden.
    Lorcan missachtete jeden gut gemeinten Hinweis meinerseits auf eine ausgebaute und vor allem breite Straße, die nach Dublin führte. Er hatte die Ochsentour zu fahren, die westlich des Lough Derg nach Mullingar und zu meiner Freude dann nach Kells und schließlich zurück in die Heimat nach Dublin führte.
    Lorcan öffnete eine Flasche Bushmills, schenkte zwei Plastikbecher halb voll und erhob den Becher.
    »Cheerio, Kilian, los, erzähl mir deine Geschichte. Die Nacht ist lang.«
    Ich stieß mit ihm an, machte es mir bequem und starrte in die grellen Kegel vor mir, die die Nacht teilten.
    Der sanfte Malt lockerte meine Zunge, und ich erzählte ihm alles über den Papyrus, Nikola, Mayfarth und Yasmina. Lorcan hörte aufmerksam zu, ohne mich zu unterbrechen, und ich bedankte mich, indem ich die Becher neu füllte.
    »Holy Shit«, sagte er trocken und kippte den Rest des Whiskeys runter. »Was willst du machen, wenn du diesen Mayfarth erwischst?«
    »Ihn zur Rede stellen.«
    »Und du glaubst, er wird dir gestehen, dass er diesen Priester umgebracht hat?«
    »Ich weiß es nicht. Ich müsste ihn unter Druck setzen, damit er das Maul aufmacht.«
    »Vergebene Liebesmüh. Ich kenne diese Brüder zu Genüge. Die schweigen bis ins Grab.«
    »Was macht dich so sicher?«
    »Weil ich selbst mal einer war. Oder glaubst du, dass ich mit dieser Kutsche auf die Welt gekommen bin?«
    »Nicht schon wieder!«, schoss es mir durch den Kopf. Was hatte ich nur an mir, dass ich diese Brüder so anzog.
    »Begonnen hat alles mit den Troubles, den Unruhen 1969 in Derry«, sagte er. »Damals hatte ich den Kopf voller Illusionen, kämpfte für Freiheit und Gleichberechtigung, wie alle anderen. Bis zum 30. Januar 1972, als die Briten das Massaker in Derry veranstalteten und vierzehn meiner Landsleute kaltblütig umbrachten. Neben mir kroch ein verletzter junger Mann die Wand entlang. Er rief: ›Nicht schießen!‹ Ein Fallschirmspringer kam auf ihn zu und erschoss ihn. Ich konnte mich retten. Dann sah ich einen Jungen, keine fünfzehn Jahre alt, er versuchte seine Freundin zu schützen. In der Hand ein weißes Tuch. Sie wollten die Demonstration verlassen. Ein Brite erschoss ihn, ohne mit der Wimper zu zucken. Das Mädchen wurde schwer verletzt.
    Alles, wofür wir demonstrierten, war gleiches Wahlrecht für alle, gleiche Wohnund Arbeitsmöglichkeiten für Katholiken und die Abschaffung des Special Power Act, der es den Briten erlaubte, willkürlich ›verdächtige Personen‹ festzunehmen und sie ohne Haftbefehl zu internieren. Dann kamen zwanzigtausend Soldaten aus London und übernahmen die Macht. Sie herrschten wie Fürsten und behandelten uns wie Sklaven. Reihenweise traten die Leute in die IRA ein, um die katholische Minderheit gegen die Übergriffe der Protestanten zu schützen. So wurde die IRA, die lange Zeit kaum noch eine Rolle gespielt hatte, stärker und militanter denn je. Den Rest der Geschichte kennst du ja.«
    »Und was hat die Kirche damit zu tun?«
    »Früher hieß es, Irland sei das Juwel in der Krone des Vatikans. In keinem anderen Land folgte die Kirche so entschlossen den Dogmen des Papstes. Ein Katholik in diesem Lande zu sein war nicht nur eine Angelegenheit des persönlichen Glaubens, sondern auch ein Mittel, um seine Identität als Ire gegenüber den protestantischen Briten zu behaupten. Ich ließ mich zum Priester ausbilden. Wir leisteten viel, engagierten uns und brachten einiges auf den Weg. Aber die

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