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Die Zeit-Odyssee

Die Zeit-Odyssee

Titel: Die Zeit-Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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Hülle, den Bisesa testete, lieferte das gleiche Ergebnis,
und nach diesem Ergebnis befand sich das Auge in einem Zustand
dauernder Implosion.
    Mit bloßem Auge betrachtet sah das Auge natürlich
dick und fett und unerschütterlich aus und lauerte
selbstzufrieden in der Luft wie immer. Nichtsdestoweniger –
in irgendeiner Hinsicht, auf die Bisesa nicht den Finger legen
konnte, bewegte sich diese glänzende Oberfläche.
Sie hatte den Eindruck, dass sich auf eine gewisse Weise die
Existenz des Auges in Richtungen erstreckte, für die sowohl
ihre, Bisesas, Wahrnehmungsfähigkeit als auch das
Messvermögen der Instrumente nicht ausreichte.
    Und wenn das möglich war, dann, sinnierte sie, gab es
vielleicht nur ein Auge, das von irgendeiner höheren
Dimension aus in die Welt hineinragte wie Finger einer Hand, die
in die Wasseroberfläche eines Teiches eintauchten.
    Doch manchmal hielt sie dieses ganze Experimentieren im Grunde
ihres Herzens für den Versuch, dem wesentlichen Punkt aus
dem Weg zu gehen: ihrer intuitiven Wahrnehmung des Auges.
»Vielleicht neige ich bloß zur
Vermenschlichung«, erklärte sie dem Telefon.
»Warum sollte unbedingt ein Verstand – etwas
in der Art von meinem Verstand –
dahinterstecken?«
    »Darüber hat auch David Hume schon
nachgedacht«, murmelte das Telefon, »in Abhandlung
über die Naturreligion. Er fragte, warum wir nach einem
›denkenden Geist‹ als Organisationsprinzip des
Universums suchen sollten. Er sprach natürlich über das
traditionelle Gottesbild. Vielleicht ergibt sich die
Ordnung, die wir wahrnehmen, ganz einfach. ›Soviel wir a priori wissen, mag der Materie die Quelle, der Ursprung
der Ordnung innewohnen, so wie uns dies vom Geiste bekannt
ist.‹ Niedergeschrieben hat er das ein volles Jahrhundert,
ehe Darwin bewies, dass auch bei nicht vernunftbegabter Materie
eine systematische Ordnung entstehen kann.«
    »Also bist du auch der Meinung, dass ich zum
Vermenschlichen neige?«
    »Nein«, sagte das Telefon. »Um ein Objekt
wie dieses zu schaffen, kennen wir keinen anderen Weg als
intelligentes Handeln. Die Annahme, ein denkender Verstand ist
dafür verantwortlich, stellt vermutlich die einfachste
Hypothese dar. Außerdem kann es sein, dass diese
Gefühle, die du hast, auf irgendeiner physischen
Realität basieren, selbst wenn deine Sinne nicht darauf
ansprechen. Dein Körper, dein Gehirn sind auch ihrerseits
komplizierte Instrumente. Vielleicht wird der heikle
elektrochemische Unterbau deiner Denkvorgänge von diesem
Ding beeinflusst. Es ist keine Telepathie – aber es
könnte dennoch real sein.«
    »Spürst du denn, dass da irgendetwas
ist?«
    »Nein. Aber ich bin auch kein Mensch«, seufzte das
Telefon.
    Manchmal hatte Bisesa den Eindruck, das Auge würde ihr
diese Überlegungen eingeben – mit voller Absicht.
»Es ist, als würde es Informationen in mich
runterladen, Bit für Bit. Aber mein Verstand, mein Hirn ist
einfach unfähig zur Aufnahme. Es ist, als würde ich
versuchen, eine moderne Virtual-reality-Software in Babbages
mechanische Rechenmaschine zu laden!«
    »Der Vergleich ruft mein innigstes Mitgefühl
hervor«, seufzte das Telefon.
    »Das soll keine Beleidigung sein.«
    Und manchmal saß Bisesa in der wenig unterhaltsamen
Gesellschaft des Auges einfach nur da und ließ ihren Geist
wandern, wohin er wollte.
    Sie hörte nicht auf, an Myra zu denken. Als die Zeit
verging, als die Monate zu Jahren wurden und sich die
Diskontinuität, dieses beispiellose Einzelereignis, immer
weiter in die Vergangenheit zurückzog, spürte sie, wie
sie sich tiefer und tiefer in dieser neuen Welt verankerte. Und
manchmal erschienen ihr ihre Erinnerungen an die Erde des
einundzwanzigsten Jahrhunderts in dieser freudlosen,
ehrwürdigen Halle als absurd, als unmöglich grell
gefärbt, wie in einem entstellenden Traum. Aber das
Gefühl des Verlustes, wenn sie an Myra dachte, verblasste
nie.
    Es war nicht einmal so, als hätte man ihr Myra
plötzlich weggenommen, und sie würde nun ihr Leben eben
in irgendeinem anderen Teil der Welt fortführen. Bisesa
empfand es auch nicht als tröstlich sich vorzustellen, wie
alt Myra jetzt wohl wäre, wie sie aussah, welche Schulstufe
sie besuchte, was sie beide miteinander unternehmen würden,
wären sie wieder vereint. Keine dieser alltäglichen
Fragen eines Menschenlebens ließ sich anwenden, weil Bisesa
nicht wusste, ob sie und Myra überhaupt noch einer
gemeinsamen

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