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Die Zeit-Odyssee

Die Zeit-Odyssee

Titel: Die Zeit-Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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Hierarchie von Intelligenzen, die sich,
ausgehend von der einfachen, durchaus vorstellbaren Konstellation
Wächter-Augen in irgendeine undenkbare Richtung
hochschraubte und dabei Bisesas Handlungen, ihre Reaktionen, ja
ihre ganze individuelle Persönlichkeit filterte und
klassifizierte.
    Sie verbrachte immer mehr Zeit damit, diese Empfindungen
auszuloten. Sie ging allen Menschen aus dem Weg, selbst ihren
Kameraden aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert – und sogar
dem armen Josh. Nur manchmal, wenn sie fror und sich zu
verzweifelt und allein fühlte, suchte sie Trost bei ihm.
Doch hinterher – und obwohl sie echte Zuneigung für
ihn verspürte – wurde sie vom Schuldbewusstsein
heimgesucht, so als hätte sie ihn nur benutzt.
    Sie bemühte sich, diese Gefühle nicht näher zu
erforschen, bemühte sich auch, der Entscheidung, ob sie Josh
nun liebte oder nicht, aus dem Weg zu gehen. Sie hatte das Auge,
und das war der Mittelpunkt ihrer Welt. Es musste so sein. Und
sie wollte sich nicht an irgendetwas oder irgendjemanden
verzetteln, nicht einmal an Josh.
     
    Sie hatte versucht, dem Auge mithilfe der Physik näher zu
kommen.
    Sie begann mit einfachen geometrischen Messungen wie jene, die
Abdikadir an den kleineren Augen in Jamrud vorgenommen hatte.
Bisesa benutzte Laserinstrumente, um zu beweisen, dass für
dieses Ding hier die berühmte Zahl Pi nicht ungefähr
drei und ein Siebentel lautete, so wie Euklid, die
Schulbuchgeometrie und der Rest der Welt es vorschrieben, sondern
exakt drei. Wie alle Augen war auch dieses hier ein Eindringling
von irgendwo.
    Aber Bisesa begnügte sich nicht mit der Physik allein.
Mit einem Trupp Mazedonier und Briten war sie zur Nordwestgrenze
und der Absturzstelle ihres kleinen Vogels zurückgekehrt.
Monatelanger saurer Regen hatte natürlich nicht dazu
beigetragen, das zu konservieren, was davon übrig war. Trotz
allem hatte sie noch verwendbare elektromagnetische Sensoren
gefunden, die sowohl in sichtbarem Licht als auch im Infrarot-
und Ultraviolettbereich funktionierten – elektronische
Augen: Himmelsspione des einundzwanzigsten Jahrhunderts –
und verschiedene chemische Sensoren, »Nasen«, die
dazu gedient hatten, Sprengstoffe und Ähnliches zu
erschnüffeln. Bisesa grub Instrumente, Geräte und
Komponenten, Kabel und alles sonst, was von der Ausrüstung
des Hubschraubers noch brauchbar war, aus – auch die kleine
chemische Toilette.
    Sie stellte alles im Tempel des Marduk auf, improvisierte ein
Gerüst rund um das Auge und ordnete die aus dem Vogel
ausgebauten Sensoren so an, dass sie vierundzwanzig Stunden am
Tag das nicht von dieser Welt stammende Objekt aus allen Winkeln
anstarrten. Zum Schluss stopfte sie diese uralte babylonische
Tempelkammer mit einem Gewirr von Kabeln voll, das zu einem
Interface führte, auf dem Bisesas Telefon geduldig der Dinge
harrte, die da kommen mochten. Doch sie hatte nicht viel
elektrischen Strom zur Verfügung, nur die Batterien vom
Hubschrauber und die kleineren Akkus in den Geräten selbst.
Und so blickten ihre Sensoren aus dem einundzwanzigsten
Jahrhundert beim rauchigen Schein von Tierfettlampen auf dieses
unvorstellbar fremdartige Objekt.
    Ein paar Antworten bekam sie.
    Die Strahlungssensoren des Hubschraubers –
aufgemöbelte Geigerzähler, dazu bestimmt, verbotene
Atomwaffen zu entdecken –, zeigten Spuren von
hochfrequenten Röntgenstrahlen und sehr hochenergetischen
Teilchen, die von dem Auge ausgingen. Diese Ergebnisse waren
interessant, aber schwer einzuordnen, und Bisesa hielt die
Strahlungsspuren für bloße Nebeneffekte, die Teil
eines ganzen Spektrums von exotischen hochenergetischen
Strahlungsprodukten waren, für deren Empfang die
Kapazität des einfachen Geigerzählers nicht ausreichte.
Diese Strahlung musste die Spur eines immensen Energieaufwandes
sein, der vermutlich notwendig war, um diesem Auge die Existenz
in einer feindseligen Realität zu ermöglichen.
    Und dann war da noch die Frage der Zeit.
    Bisesa benutzte den Höhenmesser des Hubschraubers, um
Laserstrahlen von der Hülle des Auges abprallen zu lassen.
Das Laserlicht wurde zu 100 Prozent reflektiert; die
Oberfläche des Auges wirkte wie ein perfekter Spiegel. Aber
die Strahlen kehrten mit einer merklichen Dopplerverschiebung
zurück. Es war, als würde die Oberfläche der Kugel
mit einiger Geschwindigkeit – mit mehr als hundert
Kilometern pro Stunde – zurückweichen. Jeder Punkt der

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