Die Zeit-Odyssee
Affen-Ahnen, und sie konnte weit besser klettern
als die Menschen, die sie gefangen hatten. Doch während sie
sich das Netz hocharbeitete, wuchs ihre Angst, denn sie wusste,
dass sie das nicht tun durfte.
Und schon kam einer der Soldaten gelaufen. »He, du!
Runter da!«
Ein Gewehrkolben krachte ihr ins Gesicht, aber sie konnte
nicht einmal schreien. Trotz des festen Griffes, der von dem Auge
ausging, fiel die Sucherin vom Netz und landete auf dem
Rücken. Den Mund voll Blut versuchte sie, den Kopf zu
heben.
Sie erblickte das Klammerchen, das auf dem Boden saß und
einen Halm hochreckte, der zu einem Knoten gebunden war. Die
Sucherin hatte so etwas noch nie gesehen.
Wieder wurde sie, ungeachtet des Blutes, das ihr aus dem Mund
tropfte, gezwungen aufzustehen. Sie hob den Kopf und starrte
hinauf zu dem Auge.
Dumpf wurde ihr bewusst, dass sich wieder etwas verändert
hatte. Das Auge glühte nicht mehr einheitlich: Eine Reihe
hellerer horizontaler Streifen lag über einem grauen
Untergrund – ein Muster, bei dem ein Mensch an die Linien
der Breitengrade auf einem Globus denken mochte. Diese Linien
wanderten hinauf über den »Äquator« des
Auges, wurden immer kürzer, bis sie am Nordpol verschwanden.
Mittlerweile hatte eine andere Abfolge von Linien, diesmal
vertikal, die gleiche Wanderung von einem Ende des Äquators
zum anderen begonnen, wo sie verschwand. Und nun erschien eine
dritte Linienfolge, die im rechten Winkel zu den anderen beiden
stand! Die dauernd wechselnde, lautlose Entfaltung grauer
Rechtecke war faszinierend, wunderschön.
Und dann erschien eine vierte Linienfolge – die
Sucherin versuchte herauszufinden, wohin sie verlief –,
doch plötzlich tat irgendetwas in ihrem Kopf schrecklich
weh. Sie schrie auf.
Wieder ließen die unsichtbaren Hände sie los, und
sie fiel flach nach hinten. Mit den Handballen rieb sie sich die
tränenden Augen. Zum ersten Mal wurde sie sich der
Wärme bewusst, die an der Innenseite der Schenkel
entlanglief: Sie hatte während des Aufrechtstehens uriniert,
ohne es zu merken.
Das Klammerchen stand zitternd vor ihr und starrte hinauf zu
den wandernden Lichtstreifen, die verwirrende Schattenmuster auf
ihr kleines Gesicht warfen. Eine fünfte Linienfolge –
eine sechstel, die in unmöglichen Richtungen
verschwanden…
Das Klammerchen erstarrte plötzlich, den Kopf in den
Nacken geworfen, die Finger in die Luft gekrallt, und dann fiel
es hin, so steif wie ein Holzblock. Die Sucherin packte ihr Kind
und zog es auf ihren von Pisse nassen Schoß; die Starre
verschwand, und aus dem Klammerchen wurde ein schlaffes
Fellbündel. Die Sucherin strich ihrer Tochter über den
Rücken und legte sie an die Brust, obwohl ihre Milch seit
Jahren versiegt war.
Und selbst jetzt noch beobachtete das Auge die beiden und
vermerkte die Bindung zwischen Mutter und Kind, während es
jede Gefühlsregung aus den beiden Affenmenschen
herauspresste. Es war alles Teil des Tests.
Die Atempause währte nur kurz. Dann nahm das Auge sein
unablässig perlendes Glühen wieder auf, und es war, als
würden die unsichtbaren Hände wieder an den
Gliedmaßen der Sucherin zerren und sie antreiben. Sie
stieß ihr Kind zur Seite und stand wieder auf, das Gesicht
dem überirdischen Licht zugewandt.
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DAS AUGE DES MARDUK
Bisesa zog in den Tempel des Marduk; sie brachte einen
Strohsack und Decken mit und ließ sich das Essen bringen.
Später stellte sie sogar die chemische Toilette auf, die aus
dem Hubschrauber stammte. Und nun verbrachte sie die meiste Zeit
hier ganz allein – abgesehen von der mageren Gesellschaft
des Telefons und der dumpfen Masse des Auges.
Sie spürte, dass da etwas war, eine Präsenz
hinter dieser undurchdringlichen Haut. Es war ein Gefühl,
das jenseits aller Sinne lag – wie das Gefühl, das
sich einstellte, wenn man mit verbundenen Augen durch eine
Tür stolperte und dennoch instinktiv wusste, ob man in einem
engen oder weit offenen Raum gelandet war.
Aber es war nicht das Gefühl, mit einem menschlichen
Wesen zusammen zu sein. Manchmal spürte sie nichts weiter
als wachsame Aufmerksamkeit, als wäre das Auge eine riesige
Kamera. Doch manchmal hatte sie den Eindruck einer
flüchtigen Wahrnehmung von etwas, das hinter dem. Auge existierte. Gab es einen »großen
Wächter«, der, bildlich gesprochen, überall auf
der Welt hinter jedem einzelnen dieser Augen stand? Manchmal
witterte sie eine ganze
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