Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeit-Odyssee

Die Zeit-Odyssee

Titel: Die Zeit-Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
Knurren der Männer kam wie aus einer Kehle. Musas
Mörder drückte Kolja die Schwertklinge an den Hals;
seine Augen waren schmale Schlitze, der Mund stand offen, und
sein Atem stank nach Milch und faulem Fleisch. Plötzlich
nahm Kolja die Welt besonders klar und intensiv wahr: den
tierhaften Geruch des Mannes vor sich, den wilden, rostigen Duft
der Steppe, selbst das Dröhnen des Blutes in den Ohren.
Sollte dies seine letzte Erinnerung sein, bevor er Musa in die
ewige Finsternis folgte…?
    »Daruchatschi«, sagte er. »
Tengri. Daruchatschi.«
    Der Mann riss die Augen auf. Er wich ein paar Schritte
zurück, das Schwert nach wie vor erhoben, und die
temporeiche Diskussion wurde wieder aufgenommen. Doch nun wurden
die Blicke der Männer noch durchdringender.
    »Was hast du zu ihm gesagt?«, zischte Sable.
    »Ein Andenken an die Schulzeit.« Kolja gab sich
Mühe, gelassen zu klingen. »War bloß so eine
Idee. Hätte ebenso gut gar nicht ihre Sprache sein
können. Keiner weiß, in welcher Zeit wir gelandet
sind…«
    »Welche Sprache, Kolja?«
    »Mongolisch.«
    Sable schnaubte missmutig. »Ich wusste es.«
    »Ich sagte, wir wären Abgesandte. Sendboten des
ewigen Himmels. Wenn sie es glauben, dann müssen sie uns mit
Respekt behandeln. Uns vielleicht den lokalen Obrigkeiten
übergeben. Ein Bluff, bloß ein
Bluff…«
    »Klug gedacht, Batman«, sagte Sable. »Wo uns
doch die ganze Meute vom Himmel fallen sah. Bringt mich zu
eurem Anführer! Funktioniert immer im Kino.« Sie
brachte tatsächlich ein Auflachen zustande – aber es
war ein gepresstes, hässliches Geräusch.
    Schließlich löste sich der Kreis um die Kosmonauten
auf, und niemand kam, um sie zu töten. Einer der Männer
schlüpfte in seine Jacke und setzte einen Filzhut auf,
rannte zu einem Pferd, das angepflockt neben einer Jurte stand,
saß auf und ritt davon.
    Dann wurden Sable und Kolja die Hände auf dem Rücken
zusammengebunden, und man stieß sie auf eine der Jurten zu.
Auch ohne die Fesseln wäre Kolja das Gehen schwer gefallen;
er hatte das Gefühl, in Blei eingegossen zu sein, und in
seinem Kopf summte es. Neugierig glotzende, nasenbohrende Kinder
bildeten eine Art von Ehrenspalier auf dem Weg zur Jurte, und
eine tückisch aussehende Rotznase warf einen Stein, der von
Koljas Schulter abprallte. Keine besonders würdevolle
Rückkehr zur Erde, dachte er. Aber wenigstens waren sie
beide am Leben; wenigstens war es ihm gelungen, etwas Zeit zu
gewinnen.
    Die Eingangsklappe der Jurte wurde zurückgeschlagen, und
sie wurden hineingeschoben.
     
    Sable und Kolja wurden auf Filzmatten gestoßen; in ihren
steifen Raumanzügen mit den komisch wegstehenden Beinen
füllten die beiden die Jurte fast aus, aber es war eine
Erholung, wieder sitzen zu können.
    Der Eingang der Jurte blickte nach Süden; hinter einer
Dunstschicht in der Ferne konnte Kolja die Sonne sehen. Er
wusste, dass diese Richtung der Zeltöffnung eine alte
Tradition der Mongolen war. In ihrer rudimentären Theologie
gab es ein Element der Sonnenanbetung, und hier auf den Ebenen
Nordasiens rollte die Sonne hauptsächlich im Süden
durch ihre täglichen Himmelskreise.
    Mongolen kamen und gingen, offenbar um die Gefangenen in
Augenschein zu nehmen – gedrungene Männer und
muskulös wirkende Frauen. Sie starrten die beiden
Kosmonauten, besonders Sable, mit gieriger Berechnung in den
Augen an.
    Teile der Ausrüstung wurden aus der Sojus in die Jurte
gebracht, doch mit dem meisten davon – den medizinischen
Notfallkästen, einem aufblasbaren Rettungsfloß –
konnten die Mongolen nichts anfangen. Aber Sable und Kolja
erhielten die Erlaubnis, die sperrigen Raumanzüge abzulegen
und in die leichteren orangefarbenen Overalls zu schlüpfen,
die sie schon im Weltraum getragen hatten. Die Mongolenkinder
begafften ihre Unterwäsche und die gummiartigen Beinkleider,
aus denen sie sich schälten. Die Raumanzüge wurden
übereinander in einer Ecke der schmuddeligen Jurte abgelegt
wie abgestreifte Kokons.
    Beiden Kosmonauten gelang es, die Existenz ihrer Feuerwaffen,
die sie am Rücken trugen, vor den Mongolen zu verbergen.
    Danach ließ man sie zu Koljas unendlicher Erleichterung
eine Weile allein. Mit zitternden Beinen lehnte er sich an die
schmierige Lederwand der Jurte und gab sich alle Mühe, durch
schiere Willenskraft das heftige Klopfen seines Herzens zu
dämpfen und den Nebel in seinem Kopf zu lichten. An sich, so
überlegte er,

Weitere Kostenlose Bücher