Die Zeit-Odyssee
sauber?«
»Willkommen im dreizehnten Jahrhundert,
Sable!«
Die Essensgäste hielten Distanz zu den Kosmonauten, doch
ansonsten schien ihr Gesellschaftsleben nicht
beeinträchtigt.
Nach einiger Zeit näherte sich einer der jüngeren
Männer den beiden Fremden mit einer Schüssel Fleisch.
Kolja konnte erkennen, dass das Hammelfett, das auf den Lippen
des Jungen glänzte, nur die oberste Schicht der Schmiere aus
Dreck und Fett war, die sein Gesicht bedeckte, und er hatte sogar
vom Wind getrockneten Rotz unter den weiten Nasenlöchern.
Der Gestank nach überreifem Käse, den er verbreitete,
war überwältigend. Der Junge langte hinter Koljas
Rücken und löste eine seiner Hände. Dann holte er
ein Stück Fleisch aus seiner Schüssel und reichte es
dem Fremden. Seine Fingernägel waren schwarz.
»Weißt du«, murmelte Kolja, »dass die
Mongolen das Fleisch unter ihren Sätteln mürbe ritten?
Dieses Stück Hammel könnte tagelang mit Methan aus dem
Arsch eines fetten Hirten vollgepumpt worden sein!«
»Wir brauchen alle Verdauungshilfen, die wir kriegen
können!«, zischte Sable. »Also iss!«
Kolja nahm das Fleisch, machte die Augen zu und biss hinein.
Es war zäh wie Leder und schmeckte fettig. Später
brachte ihm der Junge einen Becher Milch, und als sie ihm in den
Kopf zu steigen schien, erinnerte sich Kolja, dass die Mongolen
Stutenmilch fermentierten. Danach trank er so wenig wie
möglich davon.
Nach dem Mahl erlaubte man ihnen, getrennt und unter Bewachung
hinauszugehen, um sich zu erleichtern.
Kolja nahm die Gelegenheit wahr, sich umzusehen. Riesig
groß und leer erstreckte sich die Ebene in alle Richtungen,
eine Decke aus gelbem Staub in ihrem Urzustand, unterbrochen nur
von gelegentlichen grünen Farbspritzern. Unter dem
aschgrauen Himmel segelten dicke Wolken dahin und warfen Schatten
auf die Steppe, die aussahen wie Seen. Doch im Vergleich zu
diesem endlosen, flachen, gesichtslosen Land schien selbst der
Himmel zu schrumpfen. Dies hier war das mongolische Plateau
– so viel wusste Kolja von der Navigation während des
Abstiegs –, das an kaum einer Stelle unter tausend Metern
hoch lag und durch gewaltige natürliche Barrieren vom Rest
Asiens abgeschnitten war: durch Bergketten im Westen, die
Wüste Gobi im Süden und die sibirischen Wälder im
Norden. Aus dem Orbit, erinnerte sich Kolja, hatte es ausgesehen
wie ein unendlich weites Nichts, eine ganz leicht geknitterte
kahle Ebene, durchzogen hie und da von Flüssen wie von
dünnen Fäden. Es wirkte ein wenig wie ein allererster
Entwurf für eine Landschaft, der noch keinerlei Einzelheiten
enthält.
Und jetzt, dachte Kolja, bin ich hier, sitze mitten drauf
fest.
In dieser riesigen Leere drängten sich die Menschen des
kleinen Dorfes zusammen. Schlammfarben, verwittert und mit
abgerundeten Kanten muteten die Jurten eher wie ausgewaschene
Felsen an und nicht wie etwas von Menschenhand Gemachtes;
seltsamerweise sah die mitgenommene Landekapsel der Sojus hier
gar nicht so fehl am Platze aus. Kinder rannten lachend umher,
und Nachbarn unterhielten sich von einer Jurte zur nächsten.
Kolja sah Tiere – Schafe, Ziegen und Pferde –, die in
Herden frei umherzogen, und ihr Blöken und Meckern war in
der Stille besonders deutlich zu hören. Obwohl er etwa acht
Jahrhunderte von seiner eigenen Zeit entfernt war, und obwohl es
keinen größeren Kontrast zwischen ihm und diesen
Leuten geben konnte -Raumfahrer und Nomade, der technologisch am
weitesten entwickelte Mensch neben dem primitivsten –, war
die grundlegende Grammatik des menschlichen Kontaktes gegeben.
Kolja war auf einer kleinen Insel aus menschlicher Gegenwart
gelandet, die inmitten der unermesslichen schweigenden Leere des
Landes lag. Irgendwie fand er das tröstlich, auch wenn er
ein in die Hände von Mongolen gefallener Russe war.
In dieser Nacht schmiegten Kolja und Sable sich unter einer
stinkenden Decke aus etwas, das roch wie Rosshaar, aneinander,
während rundum die Mongolen schnarchten. Doch jedes Mal,
wenn Kolja aufsah, schien einer von ihnen wach zu sein und sie
mit Augen anzusehen, die im matten Feuerschein glitzerten.
Kolja hatte den Eindruck, überhaupt nicht zu schlafen,
Sable hingegen legte einfach den Kopf gegen Koljas Schulter und
schlief Stunden um Stunden. Er fand ihre Gelassenheit
erstaunlich.
In der Nacht erhob sich Wind, und die Jurte knarrte und
schwankte wie ein Boot, das auf der Steppe dahintrieb.
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