Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
Haufen vollgekritzelter Pergamente.
Hier unterhielten sich Harry und Abdul kurz über ihr Leben.
Sie hatten wenig gemein, dachte Harry. Abdul war etwa doppelt so alt wie Harry und lebte allein. Den größten Teil seines Lebens war er zur See gefahren, ein Beruf, der sich in sein ledriges Gesicht eingezeichnet hatte. Er war allerdings ein Navigator, streng genommen vielleicht ein Astronom, kein Seemann oder Händler. Er zeigte Harry eine Trophäe aus jener Zeit. Es war ein Astrolabium, eine Art Himmelskarte, verdichtet auf den kleinen Raum einer hervorragend gearbeiteten Messingplatte. Es stammte von Gerätschaften ab, die den Gläubigen die korrekte Richtung fürs Gebet zeigen sollten.
Harry vernahm fasziniert, dass Abdul in seiner Jugend auf den geheimnisvollen chinesischen Schatzschiffen gedient hatte, die früher einmal den Indischen Ozean und noch fernere Meere befahren hatten; maurische und arabische Navigatoren waren von den Chinesen immer hoch geschätzt worden.
Abdul hatte gut verdient und darum mit fünfundvierzig Jahren in den Ruhestand treten können, »um mich um meinen Garten zu kümmern«, wie er sagte. Doch als dann zwischen dem Emir und den christlichen Monarchen offene Feindseligkeiten ausgebrochen waren, war er in den Palast gekommen, um für die Wesire zu arbeiten. »Dies ist nämlich ein Überlebenskampf«, erklärte er Harry.
Harry, der geduldig zuhörte, während er kalten Granatapfelsaft schlürfte, fiel es schwer zu glauben, dass dieser elegante muslimische Seefahrer ein wie auch immer gearteter Verwandter sein könnte. Und dennoch war es so.
Geoffrey Cotesford hatte diesen seit zweihundert Jahren in Granada ansässigen Zweig von Harrys weitläufiger Familie entdeckt. Der Erste war ein anderer Ibrahim gewesen. Er war aus Sevilla geflohen, als die Stadt an die Christen gefallen war, hatte eine Frau namens Obona geheiratet und ihr Kind aus einer früheren Verbindung adoptiert. In Granada lebten Ibrahim und Obona friedlich bis ins hohe Alter, zogen viele Kinder groß, und die Familie war seither stets vom Glück begünstigt gewesen. Abdul sagte, er und seine Angehörigen erinnerten sich noch immer an Ibrahim. Er hoffe, sein eigener geduldiger Dienst für seinen Emir komme jenem gleich, den Ibrahim während der letzten Tage des maurischen Sevilla geleistet habe.
Wie sich herausstellte, waren Ibrahim und Obona zu einem günstigen Zeitpunkt nach Granada gekommen. Die letzte große Welle der Reconquista brach mit
der Einnahme Sevillas. Im natürlichen Schutz der Berge und mit Unterstützung der islamischen Maghreb-Staaten gelang es den listigen Emiren von Granada, die christlichen Führer gegeneinander auszuspielen, und die schreckliche Katastrophe des großen Sterbens schwächte den Willen der Christen, ihr Herrschaftsgebiet zu erweitern. Nicht einmal der Sturz des Kalifats in Bagdad durch die Mongolen konnte al-Andalus etwas anhaben; stattdessen gewann es noch größere Unabhängigkeit. Es war eine Periode des wackeligen Waffenstillstands – ein Friede, der Jahrhunderte überdauerte.
In Wahrheit waren die Emire von Granada jedoch immer Vasallen der christlichen Könige gewesen. Als Gegenleistung für ihre Sicherheit zahlten sie umfangreiche Tribute in afrikanischem Gold, ein permanenter Aderlass.
Und seit der Zeit des großen Sterbens, das die Mauren »die Auslöschung« nannten, war Granada in einem langsamen Niedergang begriffen. Schuld daran sei der Handel, erklärte Abdul Harry. Die Meerenge zwischen Spanien und Afrika war den Christen in die Hände gefallen, und italienische Kaufleute monopolisierten den Obst- und Gemüsehandel, einen lebenswichtigen Bestandteil von Granadas Wirtschaft, und trieben die Preise in den Keller. Aber der Tribut an die Christen musste trotzdem entrichtet werden, und ebenso musste man die Verteidigung aufrechterhalten.
»Ich bezahle dreimal so viele Steuern wie ein Kastilier«, erklärte Abdul. »Kein Wunder, dass die Emire
unbeliebt sind! Dennoch, der lange Waffenstillstand hielt an. Aber unter unserem letzten Emir hat sich alles geändert. Die Christen nennen ihn Muley Hacen; sein Name ist Abu al-Hasan Ali. Er hat schon in seiner Jugend mit angesehen, wie sein Vater den Kopf vor Christen beugte, und er hat diesen Anblick gehasst. Vor ungefähr zwanzig Jahren hat er sich geweigert, weiterhin den Tribut an Kastilien zu entrichten, und es seither nicht mehr getan. Und vor drei Jahren ist Muley angriffslustig geworden und ausgeritten, um eine befestigte
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