Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
unverbindlich.
»Ja, nicht wahr? Was meinst du, was wir da bauen?«
Orm zuckte die Achseln. »Eine Art Fuhrwerk?«
»Komm schon, Orm, streng deine begrenzte Fantasie an. Schau einfach hin. Lass die Größe außer Acht: Sag mir, was du siehst.«
Der Schaft, der Bogen, die Seile. »Sieht aus wie eine Arbaleste«, sagte Orm, »eine Armbrust …« Aber eine Armbrust war so klein, dass man sie mit den Armen halten konnte. Diese Maschine hingegen nahm ein halbes Feld ein, und ein Junge marschierte über ihren Rücken. Orm sprach ein paar leise Gebete an die heidnischen Götter seiner Kindheit. »Bei allem, was heilig ist …«
»Oh, daran ist nichts Heiliges.«
»Aethelmaer?«
»Aethelmaer. Komm, reiten wir hinunter.«
Orm erinnerte sich an Aethelmaer.
In den letzten Tagen der Regentschaft König Edwards des Bekenners hatte Sihtric sich als Priester und Beichtvater – und in gewissem Sinn auch als Prophet – dem Hofe Harolds, des Earls von Essex, angeschlossen. Er glaubte, im Besitz einer schon vierhundert Jahre alten Prophezeiung zu sein, einer kalenderähnlichen Vision namens »Menologium der Isolde«, deren einziger Zweck darin bestand, im Jahr des großen Kometen – dem Jahr des Herrn 1066 – den Sieg der Engländer über die Normannen sicherzustellen. Genützt hatte sie allerdings nicht viel. Harold, der sich geweigert hatte, die Ratschläge der Prophezeiung allesamt zu befolgen, war von den Normannen vernichtend geschlagen worden.
Doch während seines Aufstiegs zur Sibylle des Hofes hatte Sihtric von der Existenz eines Rivalen erfahren.
»Aethelmaer! Ein fetter, verkrüppelter Mönch aus
Wiltshire«, sagte er mit einiger Bitterkeit, »der ebenfalls Prophezeiungen über den Kometen von sich gegeben hatte. In seinen Papieren habe ich inzwischen seine genauen Worte gefunden.« Er zitierte aus dem Gedächtnis: »›Du bist gekommen, nicht wahr, o Komet? Du bist gekommen, Quell der Tränen vieler Mütter. Lange habe ich dich nicht gesehen, doch nun bist du noch viel schrecklicher, denn ich sehe, dass du den Untergang meines Landes bringst …‹«
»Und du hast Aethelmaer nach Westminster kommen lassen.«
»Ja. Du warst dabei, Orm, du erinnerst dich daran.«
Der Mönch, dessen nutzlose Beine nach Verwesung und Salben stanken, hatte ihnen mühsam und mit pfeifendem Atem von seiner Prophezeiung berichtet – die, wie sich herausstellte, gar nicht von ihm stammte, sondern von einem jungen Mann namens Aethelred, der als Kind ausgesetzt und vom Kloster in Malmesbury aufgenommen worden war; verderbte Brüder hatten seinem unglücklichen Leben schließlich ein vorzeitiges Ende bereitet.
»Aber nicht, bevor er ein bemerkenswertes Werk geschaffen hatte, das von Aethelmaer und anderen studiert und bewahrt wurde.«
»Ich habe seine Zeichnungen gesehen. Allerlei Gerätschaften. Belagerungsmaschinen, Katapulte …«
»Ich nenne die Zeichnungen den ›Aethelmaer-Kodex‹.« Sihtric lächelte. »Gottes Maschinen.«
Orm grub in seinem Gedächtnis nach den fantastischen
Entwürfen, die er vor Jahrzehnten nur ein einziges Mal kurz zu Gesicht bekommen und schon damals nicht verstanden hatte. »Aber das waren doch nur Kritzeleien auf Pergament. Obwohl sich Aethelmaer sein Leben lang damit beschäftigt hat, konnte er keinen einzigen dieser Entwürfe realisieren.«
»Das stimmt nicht ganz«, wandte Sihtric ein. »Er hat versucht, eines dieser Konstrukte zu bauen, weißt du noch? So ist er zum Krüppel geworden.«
Orm schüttelte den Kopf. »Das habe ich nie verstanden. Weshalb sollte jemand überhaupt den Wunsch verspüren, wie ein Vogel zu fliegen? Aber das alles spielt natürlich nur eine Rolle, sofern man deine mechanischen Wunderwerke wirklich bauen kann.«
»Vollkommen richtig«, sagte Sihtric. »Und du würdest sicher gern hören, dass ich ebenso wie Aethelmaer daran gescheitert bin, nicht wahr, Wikinger? Nun, dir steht eine Enttäuschung bevor.«
Orm starrte ihn an. »Du meinst die Arbaleste? Soll das heißen, Sihtric, dass du wirklich Gerätschaften – Waffen – nach den Plänen konstruierst, die du dem verrückten Mönch gestohlen hast?«
»Interessante Wortwahl«, sagte Sihtric. »Gestohlen? So kann man das wohl kaum nennen. Du hast Aethelmaer doch kennengelernt. Der alte Krüppel war gerade mal noch dazu imstande, sich von einem jungen Novizen den Arsch abwischen zu lassen. Und wahrscheinlich hat es ihm auch noch gefallen.«
»Für einen Priester führst du manchmal ganz schön schmutzige
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