Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
flossen Abwasserströme. Und Schlachter arbeiteten draußen auf der Straße und verwandelten das Kopfsteinpflaster in einen Mischmasch aus Innereien und Knochen, um die sich Ratten, Krähen und Straßenkinder mit blutigen Händen balgten. Obwohl Gruppen von Bütteln, Unterbütteln und Gassenkehrern Rinnsteine und Abflüsse von Exkrementen reinigten und tierische Überreste zu den Flüssen schleppten, um sie dort hineinzuwerfen, war der Gestank von Kot und Blut überwältigend.
Aber in dem lärmigen, überfüllten, großspurigen, stinkenden London wurden allerorts rege Geschäfte gemacht. In Jerusalem köchelte die Spannung, und Waffen und Rüstungen waren überall. Diese weitläufige Stadt schien hingegen von Händlern und Ladenbesitzern regiert zu werden, nicht von Soldaten.
Und da es hier keine Sarazenen gab, fiel Saladins dunkle Hautfarbe auf. Eine Gruppe gut gekleideter junger Männer erspähte ihn und hielt ihn selbst für einen
Sarazenen. »Isst du kleine Kinder? Beschläfst du deine Mutter? Geh dahin zurück, wo du herkommst, Teppichbeißer!« Thomas Busshe hielt ihn zurück, bevor er sein Schwert ziehen konnte, aber Saladin schäumte.
Die Luft, in der er in dieser Nacht zu schlafen versuchte, war so dick und verräuchert, dass er kaum atmen konnte. Er sehnte sich nach dem heißen Licht von Outremer, dem Eisengeruch der Wüste.
Am nächsten Morgen sprachen sie in Thomas’ Priorei über die Einnahme von Jerusalem.
Joan biss in das harte, von ein wenig Brühe aufgeweichte Brot, das hier als Essen galt. »Nun, am Ende mussten wir fliehen. Wir alle. Kaiser Friedrichs Waffenstillstand war schon vor deinem Besuch vor zwei Jahren ausgelaufen, Thomas. Aber die Muslime waren zerstritten: Brüder, rivalisierende Prinzen in Damaskus und Ägypten, führten Krieg gegeneinander. Das hat uns für eine Weile gerettet. Doch in diesem Jahr hat sich schließlich ein siegreiches Prinzchen mit den syrischen Choresmiern verbündet und Syrien und Palästina zurückerobert, und – nun ja. Die wiedervereinigten Muslime haben auch die Heilige Stadt erneut an sich gerissen.
Man hatte uns gewarnt. Wir sind geflohen und haben mitgenommen, was wir tragen konnten; das war wenig genug. In Akkon haben wir uns einen Platz auf einem der letzten Schiffe erkauft – es war grauenhaft überfüllt, wie du dir vorstellen kannst. Und unverschämt teuer obendrein.«
Saladin war ungeduldig. »Du sprichst von Geld,
Mutter. Was für eine Rolle spielt Geld? Diesmal war es nicht Saladin, und es war kein ehrenhafter Kampf. Diese Sarazenen haben die Grabeskirche niedergebrannt und ein Massaker unter unseren Leuten angerichtet!«
Joan nickte müde und grimmig. Sie sah älter aus als ihre zweiunddreißig Jahre. Saladin dachte, dass ihre Erlebnisse sie verhärtet hatten, dass sie die Sarazenen nun hasste; zuvor war das vielleicht nicht so gewesen. »Mein Sohn wäre geblieben, um zu kämpfen. Ich habe ihn gezwungen, mit mir zu fliehen, weil ich seinen Schutz brauchte. Die Schmach unserer Flucht lastet allein auf mir, nicht auf ihm.«
»Ja.« Thomas sah Saladin an. »Und das musst du deinem Beichtvater erzählen.«
»Roberts Blutsverwandte kehren also halb mittellos nach England zurück«, sagte Joan. »Kann sein, dass ich die Mildtätigkeit deines Hauses doch noch brauche, lieber Bruder.«
Thomas berührte ihre Hand. »So weit wird es nicht kommen. Vergesst eure Verzweiflung, haltet euch an der Hoffnung fest. Das Glück wird euch bald wieder hold sein … Ich habe Neuigkeiten für euch.«
Joan musterte ihn. »Du sprichst in Rätseln, Bruder. Heraus mit der Sprache.«
»Nicht hier.« Er ließ den Blick durch den leeren Raum schweifen. »London ist ein Nest der Spione.«
»Sogar hier, in dieser Priorei?«
»Auch Mönche müssen von irgendetwas leben. Wir sind gezwungen, in der Welt des Geldes und der Macht zu operieren. Das ist eine verderbliche Umgebung. Ich
werde euch zu meinem eigenen Kloster bringen, das weit von London entfernt ist. Dort können wir beruhigt miteinander reden.«
Saladin stöhnte. »Noch mehr Reisen?«
»Keine Schiffe mehr«, sagte Thomas. »Das verspreche ich dir.«
»Aber was willst du uns erzählen?«, fragte Joan. »Gib uns zumindest einen Hinweis.«
Thomas lächelte. »Also schön. Ich bin inzwischen mehr denn je davon überzeugt, dass an eurer Familiensage von Kriegsmaschinen und Prophezeiungen etwas Wahres sein könnte. Ich bin nämlich auf Indizien gestoßen, dass so etwas nicht zum ersten Mal geschehen ist .
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