Die Zeitbestie
aus Wahrscheinlichkeit verzweigte und vervielfachte und sich von einem Punkt aus in die Unendlichkeit dehnte. Diese Vision hatte emotionales Gewicht, und sie machte ihm Angst.
Als sie endlich den Wald erreichten, wurde erkennbar, dass hinter den Wolken die Sonne unterging. Als sie ein Stück weit unter die Bäume vorgedrungen waren, fanden sie den Boden mit einer dicken Schicht Kiefernnadeln und totem Holz bedeckt und nur noch spärlich mit Schnee besprenkelt.
»Hier. Du kannst jetzt den Rucksack abnehmen.«
Es war dunkel unter den Bäumen, und Tack war sehr müde. Seine Ausbildung und ausgezeichnete körperliche Verfassung hatten ihn bis hierher auf den Beinen gehalten, aber er konnte nicht unbegrenzt die Art von Belastungen aushalten, die er in den letzten – er blickte auf die Uhr – 25 Stunden ertragen hatte.
»Wir machen jetzt ein Feuer, essen und schlafen. Du übernimmst die erste Wache für drei deiner Standardstunden, aber du musst wissen, dass man hier nur wilde Tiere antrifft und du wahrscheinlich einfach nur das Feuer in Gang halten musst. Hast du das verstanden?«
Auf der Waldlichtung waren sie vor dem eisigen Wind geschützt, der Schneepartikel wie aus einem Gebläse vor sich hertrieb. Sie errichteten nun einen Holzstapel, den der Reisende mit einer Waffe anzündete, auf die Tack nur einen kurzen Blick werfen konnte. Sie wirkte an sich ganz albern und wenig wirkungsvoll, konzentrierte aber in diesem Augenblick genug Energie, um den halben Holzstapel in Brand zu setzen und eine riesige Wolke weißen Rauchs in die Bäume hinaufzujagen. Die beiden Männer packten nun weiteres Holz aufs Feuer und drängten sich dicht an die Flammen.
Polly öffnete sandige Augen, aber sie konnte nur undeutlich sehen und brauchte einen Augenblick, um Frank zu erkennen, der neben ihr stand. Sie setzte sich langsam auf und sah sich um. Sie fand sich in beengten Räumlichkeiten auf einem Bett wieder, wo jemand eine Decke über sie geworfen hatte.
»Gibt’s hier eine Toilette?«, fragte sie beduselt.
Frank wich zurück, als sie die Beine aus dem Bett schwang. »Dort hinten.« Er deutete auf die Tür hinter sich. »Aber zunächst mal habe ich die hier für dich gefunden.«
Er legte ein Bündel aufs Bett: eine Drillichhose, ein kleines Paar Stiefel und zwei Paar dicke Socken, da die Stiefel höchstwahrscheinlich nicht klein genug waren. Polly nahm das dankbar an, stand auf und ging unsicheren Schrittes zur Tür. Frank folgte ihr und wies ihr den Weg durch einen kurzen unterteilten Korridor zu einer weiteren Tür. Sobald Polly hindurch war, schloss sie sich ein, zog den Mantel aus und fand selige Erleichterung, während sie die Hüfttasche abnahm und den Inhalt prüfte. Zum Glück war das wasserdichte Futter intakt, der Klettverschluss weiterhin dicht und die Innenseite trocken. Polly konnte sich nicht recht entscheiden, über welchen Inhalt der Tasche sie sich am meisten freute: die Haarbürste, den Tabak zum Selberdrehen oder den Taser. Am Waschbecken machte sie sich sauber, so gut sie konnte, bürstete sich die Haare und trug ein wenig Make-up auf. Dann schlüpfte sie in die Drillichhose, zog sie bis unter den kurzen Lederrock, sodass dieser sie festhielt wie ein Leibgurt, und zog anschließend die Socken und die Stiefel an. So bestärkt, drehte sie sich eine Zigarette und zog den Mantel an, ehe sie wieder hinausging. Frank erwartete sie und blickte ungeduldig auf die Uhr.
»Die Sonne ist schon fast aufgegangen, und wir müssen wieder an die Küste«, erklärte er ihr.
Draußen im Morgenlicht sah Polly, wie das Marinepersonal auf den Aufbauten der Festung wieder an die Arbeit ging. Frank führte sie an der Seite entlang und eine kurze Leiter hinunter zu derselben Tür, durch die sie die Festung betreten hatten. Wenig später hatten sie die Mole hinter sich gebracht, waren wieder auf dem Boot und legten ab. Dave und Toby begrüßten Polly fröhlich.
Auf einmal fühlte sie sich richtig gut – voller Energie und eifrig bedacht … irgendwo anzukommen. Als Polly sich, während sie allmählich Fahrt aufnahmen, wieder zur Festung umdrehte, konnte sie deren Konstruktion perfekt überblicken: die wellenförmige Tarnbemalung an den dicken Säulen, den Radarturm und die Geschütze.
Eindrucksvoll, nicht wahr?
In Gedanken antwortete Polly: »Ja. Bislang habe ich solche Dinge nie gekannt.«
Weißt du irgendetwas über diesen Krieg?
»Kannst du meine Gedanken lesen?«, formulierte sie lautlos.
Nein, nur die, die schon
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